"Ihre Stimme, die kommt aus Ihrem Schauen", schreibt Peter Handke über seine Protagonistin. Und sich.

Foto: Festwochen Gmunden
Prosa, Theater, Filmdrehbücher und Songs: Über 60 Werke umfasst das Werk Peter Handkes.


Gmunden – Finden wird nur, wer nicht sucht. Don Juan etwa, der über des Erzählers Mauer purzelt, auf der Flucht, trägt die Manteltaschen voller Köstlichkeiten, die seinen Wirt – Leser und Koch – erfreuen, ja betören: Sauerampferblätter, Stängel von wildem Spargel, rare Sankt-Georgs-Pilze.

Eine Finderin ist auch die mysteriöse, namenlose Protagonistin aus "Kali", Peter Handkes jüngster Erzählung. Und sie erklärt ihre Kunst: "Woandershin schauen, auch hinauf zum Himmel – denn danach zeigt sich das Nähere, das am Boden, umso schärfer. So schauen nicht im Stillstand, sondern in der Bewegung, im Gehen."

Finden – oder gefunden werden: wie der Erzähler, wie der Mann im Salzbergwerk, dem "Sie" nicht den Tod, sondern die Liebe bringt – es bedarf der Kühnheit des Vertrauens. Des Vertrauens in eine naturgegebene Harmonie, in die sich einzufügen Weisheit heißt. Es bedarf des Blicks in den Himmel.

Peter Handke ist so ein Himmelsgucker, ein Finder. Er findet und öffnet die verborgenen Räume jenseits der allzu vertrauten Konstrukte der Medien, Maßeinheiten und Gewissheiten. Er sperrt das Tor auf zu Zwischenwelten, in denen Fabelwesen, Tiere, Pflanzen und Winde ins Licht der Aufmerksamkeit treten. Merkwürdige Welten, zunehmend fremd. Eine Fremdheit, die Handke, zur Irritation mancher Leser, bewusst setzt: Es gibt noch ein Leben jenseits des Handys, jenseits des Computers, wettert er, wie die protestantische Pastorin in Kali, nicht ohne Zorn von der Kanzel seiner Sprachmacht.

Mehr noch: Nur jenseits der virtuellen Welt, dort, wo die eigene sinnliche Erfahrung einsetzt, ist Leben möglich, das dem großen Begriff gerecht wird. Es ist diese Attitüde des Zorns, die immer wieder den Blick verstellt auf den Reichtum an Bildern, Szenen, Schattierungen, die Handke vor dem Lesenden ausbreitet mit der Grandezza eines orientalischen Gewürz-Reisenden aus dem Zeitalter der Seidenstraßen-Karawanen. Einen Reichtum, der mühelos die Grenzen zwischen den Zeiten, zwischen Traum und Wirklichkeit aufhebt. Friedlich lagern Lese- neben Obstbaumfrüchten, Don Juan neben Lanzelot auf dem buntgewirkten Gaben-Teppich.

Einzig dem Kino und seinem vergrößernden Auge wird als noblem Vertreter der technoiden Gegenwart der Zutritt erlaubt. Ihm obliegt die Lichtregie, die Kameramann Handke bravourös handhabt. "Ihre Stimme, die kommt aus Ihrem Schauen" schreibt er, der Meister des sprachgelenkten Blicks, über seine Protagonistin, die Sängerin – und wohl auch über das eigene Schreiben. Ihr finsterer Blick verwandelt sich in der Stimme in Wärme.

Handkes Stimme nachzulauschen, einige Monate vor seinem 65. Geburtstag im Dezember, unternehmen die Salzkammergut Festwochen Gmunden. Ein Viertagefest für Peter Handke steht von heute an auf dem Programm, das in der Dichte und der Intelligenz seiner Programmierung, für die, nach einer Anregung Franz Schuhs, Katharina Pektor verantwortlich zeichnet, seinesgleichen sucht.

Jeweils einen Tag lang widmen sich Wissenschafter und Künstler einem thematischen Schwerpunkt: unter dem Titel "Weitere Filme für weitere Heimwege" etwa heute, Donnerstag, der Rolle des Films in Handkes Schaffen. Wobei kein Geringerer als Wim Wenders die Eröffnungsrede hält.

Seiner Poetik gilt die Aufmerksamkeit am zweiten Tag, Lesungen mit Libgart Schwarz und Bruno Ganz dominieren den Samstag, während die "Sehnsucht die Toten zu wecken" im Theater am Sonntagmorgen den Reigen beschließt.

Das Handke-Fest, so war zu lesen, soll der Auftakt sein eines neuen Konzepts der Gmundner Festwochen, nun alljährlich einem Autor, bildenden Künstler oder Musiker ein Fest innerhalb des Festivals zu bereiten. Auch den weiteren Jahren sei eine Kuratorin zu wünschen von der Entschiedenheit und dem Engagement Katharina Pektors. (Cornelia Niedermeier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.8.2007)