Das Konzerthaus in Porto - die "Casa da Musica" (Haus der Musik).

Foto: casadamusica.com

Azulejos, die kunstvollen Wandfliesen, sind von der UNESCO geschützt.

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Die Rücklichter erkennt man nur kurz. Denn schon rasen die Autos an der Fassade weiter, himmelwärts, genauso wie die Spiegelungen der Passanten, die jetzt ebenfalls langsam aufsteigen. Schuld daran ist die gekippte Fläche der Scheiben, die Rem Koolhaas der Casa da Musica verpasst hat. Je näher man Portos Konzerthaus kommt, umso verwinkelter wird der scharfkantige Kristall des niederländischen Architekten. Ein polygones Haus der Musik, bar jeder Rundung, schief gestellt, schräg gekippt. Schräg wohl auch für die Greißler und Eisenwaren-Verhökerer in den kleinen Läden ringsum. Denn noch immer schauen manche ein wenig misstrauisch von den Querstraßen der Avenida da Boavista auf den futuristischen Bau herüber, der hier wie ein Komet einschlug. Andererseits: Eine Bruchlandung legte das nachts neongrell leuchtende Raumschiff im Arbeiterbezirk nicht hin. Auch wenn es heute, zwei Jahre nach der Eröffnung, noch immer auf Durchreise scheint, mit einer eben mal ausgefahrenen Gangway anstelle echter Stufen. Das Gemetzel an den Gründerzeithäusern konnte die Aufbruchsstimmung rund um den Bau nicht trüben.

Porto wird zum Bilbao Portugals – davon war 2005 die Rede, und die ersten klassischen Konzerte fanden noch auf der Baustelle statt. Gefolgt von Lou Reed, der als erster vor den Vorhang trat, sowie von einer Prise Fado und einigen Schnaufern Jazz. Jetzt, wo sich die Aufregung gelegt hat, nicht aber die aufwühlende Arbeit der Bagger ringsum, ist der Fokus mancher Besucher vom Zauberwürfel der Akustik auf die Umgebung weitergewandert. Wer will, kann nun auch Rem Koolhaas' Liebe zum städtischen Hügelland sehen: Wellen weißen Travertins wogen nämlich rund um die Casa da Musica auf und ab. Glatter, sanft gewölbter Stein – kein Wunder, dass Verliebte und die Skateboarder der Gegend auf die Travertin-Mulden und -Hänge des neu entstandenen Platzes schwören.

Gefällige Hafenstadt

Überraschend in seinem Auf und Ab – vielleicht lässt sich so ja auch Portos Wesen beschreiben. In topografischer und wirtschaftlicher Hinsicht stimmt das allemal – wobei die vielen, heute zum Verkauf stehenden Altstadtjuwele wieder mal von den Tagen der Baisse erzählen. Doch bevor man nun einfach den reizvollen Gässchen der alten Handelsstadt folgt, um schließlich in die Kais des alten Ribeira-Viertels einzumünden, sollte man kurz verweilen. Die Treppen und markanten Eisenbrücken der von der Unesco geschützten Altstadt, die blaue Spur der Azulejos, die von den Fliesen der Sé-Kathedrale zur sehenswerten Halle des nahen São- Bento-Bahnhofs und weiter zum außen voll verkachelten Kirchlein San Ildefonso führt, kann man nämlich auch später noch genießen. Ebenso wie die schwarzroten Würste, das Seufzen der Alten und das Schimmern der Mosaike an den Kolonialwarenläden des grandios abgearbeiteten Mercado Bolhão. Sie alle verlaufen sich nicht und bleiben der bröckelnden Altstadt erhalten – so wie auch die Casa do Infante an der Rua da Alfândega 10, das Geburtshaus von Heinrich dem Seefahrer, jetzt ein historisches Stadtmuseum.

Später beehren kann man wohl auch die Treppchen rund um den Granithügel Pena Ventosa, der neben der Stille gotischer Arkaden im Hof der Sé-Kathedrale vor allem perfekte Panoramablicke verspricht. Irgendwann. Hinterher. Dann, wenn man endlich auch Portos klassische Postkarten-Stimmungen aufsaugen möchte – so wie man den Tawny aufsaugt, den nach längerer Reifung endlich lohfarben gewordenen Portwein.

Randerscheinungen

Wer sich bei Rem Koolhaas' Casa da Musica für Portos Ränder entscheidet, wird eben auch diese Ecken kennen lernen. Nur zehn Minuten Taxifahrt machen da sicher. Zwischen blendend weißen Häusern des Villenviertels Foz liegt das Museu de Serralves, Werk des bekanntesten portugiesischen Architekten der Gegenwart, Àlvaro Siza Vieira, dem ein besonderer Hang zum Schlichten und Klaren nachgesagt wird. Licht und leicht fügt sich denn auch der Museumsbau in dieses OEuvre ein. Harmonisch ineinander verschachtelte Kuben, in deren Innerem moderne Kunst auf drei Stockwerken gezeigt wird. Daneben der Art-déco-Bau der Fundaçao de Serralves, nebst einem lauschigen Englischen Garten, in dem Schulausflügler zwischen Buchsbäumchen Blinde Kuh spielen, oder Fussball mit scheppernden Cola-Dosen.

Um eine Oase handelt es sich trotzdem, und es ist längst nicht die einzige, mit der Portos "neuer Norden" aufwarten kann. Die Schwere der Jahrhunderte haben auch die Cafés an der Meeres-Promenade der Praia dos Ingleses hinter sich gelassen – ein Schickeria-Hangout, zu dem die Showrooms der lokalen Designerinnen Maria Gambina, Anabela Baldaque Dores Ozório bestens passen. Muskelschmalz, Mode und Müßiggang: In Wellen wechseln diese Ingredienzien des suburbanen Porto auch hinter dem Stadtteil Foz.

Im Hafenviertel Matosinhos werden Sardinen noch auf dem Gehsteig gegrillt, zugleich aber auch trendige Factory-Fiestas abgehalten. Beispiel "Estado Novo": In der einstigen Fischkonserven-Fabrik an der Rua Sousa Arosa haben längst Nachtschwärmer die Sardinenschwärme abgelöst. Und auch das nahe "La Movida" an der Av. Fontes Pereira de Melo hat man sich als Lagerhalle für Plastikpalmen, kurvige Latino-Musik und Fantasy-Cocktails auf Tequila-Basis vorzustellen.

Suburbia als Show – das gilt auch nördlich des Hafenbeckens von Matosinhos als Erfolgsrezept. Hier liegt Leca do Palmeira, eine Strandpromenade mit Boutiquen, Bars und einem netten Leuchtturm. Die Lastkräne und Docks sind in einige Entfernung gerückt – nicht aber die Reibung zwischen den Naturelementen und spektakulär eingebrachter Baukunst. Das beweist das zwischen Klippen und die Brandung gesetzte Restaurant Casa de Chá da Boa Nova – ein weiteres Werk des alten Siza Vieira. Ideal für einen weiteren Port sind die mit Leder bezogenen Nischen. Ideal auch, um durch die bespritzten Glasscheiben aufs salzige, blaue Wasser hinauszuschauen. Wer jetzt zerschollene Azulejo-Kacheln darin sieht, mit Bildern von alten Geschichten – ist reif für die Rückkehr in das betagte Porto. (Robert Haidinger/Der Standard/Printausgabe/28./29.7.2007)