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Gefragter Seismologe: Ishibashi

Foto: REUTERS
Ein Erdbeben in Japan beschädigte ein Atomkraftwerk schwer. Der Seismologe Katsuhiko Ishibashi im Gespräch mit Martin Koelling* über den Ernst der Lage.

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STANDARD: Das größte AKW der Welt mit sieben Reaktorblöcken wurde schwer beschädigt, weil das Erdbeben mit der Stärke 6,8 nach Richter dreimal stärker war als der vorhergesagte Extremfall. Die Regierung aber beruhigt die Bevölkerung damit, dass nun die anderen 48 Reaktoren nach den Erdbebenrichtlinien von 2006 überprüft werden. Reichen die aus?

Ishibashi: Die Annahmen und die Berechnungen zur Bodenbewegung bei Erdbeben in den neuen Richtlinien sind äußerst ungenügend. Denn diese Richtlinien dienen nicht nur für den Bau neuer, sondern auch für die Überprüfung von alten Atomkraftwerken. Bei einer deutlichen Verschärfung der Richtlinien müssten vielleicht viele davon geschlossen oder verstärkt werden.

STANDARD: Glauben Sie, dass eine nachträgliche Verstärkung möglich ist?

Ishibashi: Ich bin kein Atomexperte, aber ich befürchte, dass besonders eine Verstärkung des Reaktorkerns sehr schwierig ist. Die würde fast auf einen Neubau hinauslaufen.

STANDARD: Haben Sie deshalb die Kommission, die diese Richtlinien erarbeitet hat, unter Protest verlassen?

Ishibashi: Meine Unzufriedenheit mit den Richtlinien war nicht der einzige Grund. Ich fand auch den Diskussionsprozess falsch. Nach unserem Zwischenvorschlag erhielten wir mehr als 700 Kommentare, viele davon forderten eine Verschärfung. Ich stimmte ihnen zu, aber die anderen Kommissionsmitglieder waren dagegen.

STANDARD: Japan ist weltweit das am meisten durch Erdbeben gefährdete Land, weil unter den Inseln vier Erdplatten aufeinanderstoßen. Glauben Sie, dass die Regierung nach diesem unvorhergesehen starken Beben ihren Ausbau der Atomenergie stoppen wird?

Ishibashi: Nein, ich fürchte, die Lage hier wird sich erst ändern, wenn wir wirklich von einem größten anzunehmenden Unfall in einem Atomkraftwerk getroffen werden.

STANDARD: Welcher der Standorte bereitet Ihnen die größten Sorgen?

Ishibashi: Hamaoka. Die fünf Reaktoren dort liegen mitten in einer Zone für Klasse-8-Erdbeben. Ein Beben dort gilt unter uns Experten als unmittelbar bevorstehend. Und die Hauptstadt Tokio liegt weniger als 200 Kilometer entfernt. Zwei Drittel des Jahres bläst der Wind dorthin.

STANDARD: Im Großraum Tokio leben 35 Millionen Menschen, hunderte Hauptquartiere von Konzernen liegen dort, wie auch das Regierungs- und Finanzzentrum ...

Ishibashi: Unter Umständen müssten zig Millionen Menschen in Sicher heit gebracht werden. Ein schweres Erdbeben in Hamaoka mit einem anschließenden GAU im dortigen Atomkraftwerk könnte Japan zerstören und die Welt verändern. (Martin Koelling*, DER STANDARD Printausgabe, 28./29.7.2007) * Martin Koelling ist Japan-Korrespondent der Financial Times Deutschland