Im Wiener Wagendorf pflegen junge Leute einen in den Sixties wurzelnden alternativen Lebensstil. Tagsüber gehen sie aber Studium und Arbeit nach.

Montage: Der Standard/Foto: A. Urban
Den Parkplatz zum Wohnzimmer gemacht hat sich eine Gruppe junger Wagenbewohner. Hinter dem Wiener Zentralfriedhof hat sich letzten Oktober eine Gemeinschaft gefunden, die das Leben auf Rädern gemeinsam wagen will.

Den direkten Kontakt zur Natur und den Umstand, „dass ich jedem Wetter ausgesetzt bin“, nennt Martin (31) als seine Beweggründe für die alternative Lebensweise. „Ich bin mehrere Jahre im Wagen gereist; als ich vor drei Jahren zum Studieren nach Wien kam und in eine Wohnung zog, bin ich total eingegangen“, erzählt er.

Das Zusammenleben am Wagenplatz empfindet er als einfacher denn jenes in einer Wohnungs-WG. „Wenn jemand nicht zur Gruppe passt, dann kann er einfach weiterfahren.“ Doch bis jetzt sei das erst einmal vorgekommen. Sonst verläuft das Leben im Wagendorf überwiegend harmonisch. Gekocht wird meist gemeinsam. Am Abend wird in der Mitte des Wagenkreises Feuer gemacht und jeden Montagabend sind Auswärtige eingeladen, den Platz zu besuchen.

„Englische Techno-Punks“ nennt Martin als den „Horror aller Wagenplätze“. Probleme gäbe es, wenn der Platz von auswärtigen Besuchern als Ort verstanden wird, an dem es keine Regeln gibt und geglaubt wird, man könne hier „die Sau rauslassen und sich einfach an allem bedienen“.

Als Punks wollen sich die Wagenbewohner nicht verstehen. Martin würde sich am ehesten als „Hunk“ bezeichnen – eine Mischung aus Hippie und Punk. „Ich würde dich einen Hink nennen“, sagt Mitbewohner Jacob (25). „Zum Hippie-Sein fehlt uns die spirituelle Schiene“, meint Stefan (26), der letztes Monat zum Wagendorf gestoßen ist. „Die Hippies waren viel idealistischer“, grenzt sich Martin ab.

Außerhalb des Wagendorfs gehen die 24- bis 31-jährigen Bewohner ganz „gewöhnlichen“ Tätigkeiten nach, die an die Großstadt gebunden sind. Martin studiert Psychologie, außerdem behausen ein Internationale-Entwicklung-Student, eine Physikstudentin, ein Internetadministrator, ein Automechaniker und Kulissentechniker den Wagenplatz.

Stefan hat vor, noch bis Oktober zu bleiben, weil er für den Sommer einen Job im Prater als Würstelverkäufer gefunden hat. Der gebürtige Deutsche lebt seit sieben Jahren im Wagen, „schon als Kind habe ich davon geträumt“ – bis heute ist diese Leidenschaft ungebrochen. Finanzielle Aspekte spielen dabei keine Rolle, denn für die 250 Euro, die Reparaturen, der Sprit und die Versicherung monatlich kosten, wäre auch ein WG-Zimmer finanziert.

Wagendorf im Exil

Zurzeit besteht das laut der Website www.wagendorf.de, das sämtliche Wagendörfer Deutschlands, Österreichs und der Schweiz miteinander vernetzt, einzige Wagendorf Österreichs aus dreizehn Wägen, sechs männlichen und zwei weiblichen Bewohnern und drei Hunden. Einen eigenen Wagen haben die vier Kinder, die am Wochenende regelmäßig ihre Väter am Wagenplatz besuchen.

Nach zehn Monaten musste die Gruppe ihr Pachtgrundstück zurücklassen und parkt jetzt provisorisch auf einem Grundstück der Stadt Wien im elften Bezirk. Dort stören allerdings neben Tierkrematorium und Kläranlage die regelmäßigen Räumungsdrohungen des Magistrats die Idylle. Erst letzten Mittwoch hat die Gemeinschaft die Zusage der Bezirksvorstehung bekommen, nun vorläufig bis Mitte August bleiben zu dürfen.

So sind die Wagenbewohner zurzeit fieberhaft auf der Suche nach einem adäquaten Platz für ihre Lebensform, ein Pachtgrundstück von mindestens 1500 m² mit Strom, Wasserleitung und Vegetation in Wien-Nähe.

Wagenbewohnerin und Physikstudentin Lena (24) ist der ständigen Unruhe müde: „Es wäre schön, einen Platz zu finden, an dem uns nicht alle zwei Wochen die Räumung angedroht wird. Dann könnten wir in Ruhe leben.“ (Tanja Traxler, Der Standard, Printausgabe 28./29.7.2007)