Wien – Die großen Sommerretrospektiven des Filmarchivs Austria definieren ihren programmatischen Zusammenhang gerne regional:So wurde anhand von Filmen etwa die "Kinowelt Asien" präsentiert, das "Ciné Mediterrané" durchmessen oder der "Brennpunkt Orient" erkundet.
Heuer hat man sich den Kulturraum namens Balkan vorgenommen. Und weil, wie auch in früheren Jahren, kleinere, überschaubarere Einheiten die Orientierung im Großen erleichtern, ist einer von mehreren Schwerpunkten dem hierzulande nur wenig bekannten Filmschaffen Bulgariens gewidmet:
Da begegnet man zum Beispiel in "Montag Morgen" / "Ponedelnik sutrin" (1965) von Irina Aktaševa und Hristo Piskov einer Frau namens Toni (Pepa Nikolova): zwanzig Jahre jung und arbeitslos, ein Faible für italienische Schlager. Nachts zieht sie mit Kavalieren um die Häuser. Bald ruft diese Erregung öffentlichen Ärgernisses die ideologisch und somit auch moralisch gefestigten Ordnungshüter vom "Straßendienst" auf den Plan. Einer von ihnen, Dantscho (Asen Angelov), fühlt sich von der freigeistigen Antagonistin nichtsdestotrotz angezogen.
Die beiden proben eine Weile ein Leben zu zweit, konform mit den gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen. Von Heirat ist die Rede. Dantscho holt Toni in seine Brigade auf der Werft. Der Direktor erkennt den PR-Effekt der ersten weiblichen Arbeitskraft an dieser Stelle.
Die daraus folgenden gruppendynamischen Konflikte drücken zwar das Plansoll, aber mit einer feierlichen Auszeichnung müsste doch auch diesem Problem beizukommen sein. "Den Schwindel rieche ich immer zehn Meilen gegen den Wind", sagt Toni. Lange wird das labile Konstrukt von Normalität also nicht zu halten sein.
Nicht nur in Bezug auf seine Heldin unterhält "Montag Morgen" eine Zeitgenossenschaft zu filmischen Auf- und Umbrüchen, die in den 60er-Jahren auch in anderen europäischen Ländern vonstatten gingen. Toni könnte die ältere Schwester von Vera Chtylovás tschechischen Anarcho-Schwestern aus "Tausendschönchen" sein.
Filmverwandtschaft
Oder auch eine Verwandte von Jacques Demys "Lola": Zumal, wenn der jazzige Score von Milco Levijev, kleine auffordende Gesten oder tänzelnde Bewegungen da und dort dem Film in all seiner realistischen Ausprägung doch auch immer eine musikalische Leichtigkeit geben.
Im kommunistischen Bulgarien wurde "Montag Morgen" jedenfalls offenkundig in erster Linie als Provokation wahrgenommen: Der Film wurde zurückgezogen und erst in den 80er-Jahren aufgeführt. Seine Modernität hat er sich ohnehin bis heute erhalten – aber diese Rezeptionsgeschichte spiegelt sich in einem anderen Beitrag der Retrospektive: Die Dokumentation "Binka: Eine Geschichte über das Schweigen erzählen" (2006) ist der Arbeitsbiografie einer Regisseurin gewidmet, die fortgesetzte Verbote ihrer Filme prägen – Binka Željaskova, geboren 1923, war Kommunistin der ersten Stunde, wurde aber mangels Linientreue bereits im Zusammenhang mit ihrem Regiedebüt 1957 marginalisiert und ihr Film verboten. In den folgenden Jahrzehnten sollte sich dies mehrmals wiederholen. Zwei der seinerzeit international beachteten, aber zu Hause inkriminierten Arbeiten werden ebenfalls gezeigt.