Amtiert als Nachfolger Martin Kušejs als Schauspielchef: Thomas Oberender.

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Am Freitag hat Thomas Bernhards "Ein Fest für Boris" Festspiel-Premiere im Salzburger Landestheater: Wie es um das Sprechtheater der Salzburger Festspiele bestellt ist, fragte Ronald Pohl den aus Jena gebürtigen Schauspielleiter Thomas Oberender.


Standard: Mit dem Festspiel-Motto von der "Nachtseite der Vernunft" könnte man österreichische Defizite ansprechen: etwa, dass das Projekt der Aufklärung sich hierorts nicht zur Gänze entfaltet habe; dass der Gründungsimpuls von Hofmannsthal und Co. dezidiert antimoderne Züge aufweist. Spielt diese Überlegung für das Schauspiel eine Rolle?

Oberender: Der Titel "Nacht-seite der Vernunft" besitzt eine beabsichtigte Mehrdeutigkeit. Wenn Sie ihn unmittelbar auf Österreich selbst beziehen wollen, warum nicht? Entlehnt wurde er Gotthilf Heinrich Schuberts Buch Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft, einem Buch, das von Kleist intensiv gelesen wurde. Die Nachtseite ist eigentlich kein Gegensatz zur Tagseite, sondern ihre Ergänzung – die Romantiker beschäftigten sich mit dem Phänomen der Träume, der Mythen und Wirkung der Gestirne. All dies ist keine Hinwendung zum Antirationalismus, sondern eher als ein poetisches Weltwissen zu begreifen, als ein Wissen der Künstler, das die analytische Naturwissenschaft ergänzt. Eine Sonne am Tag. Milliarden Sonnen in der Nacht – sagt Botho Strauß. Woran die Politik scheitert, davon erzählt die Kunst. Insofern bezieht sich die "Nachtseite der Vernunft" nicht nur auf den Zusammenhang zwischen Aufklärung und Holocaust, sondern verweist im Gegenteil auch auf all das, was uns davor bewahren kann, zu seelenlosen Instrumenten einer kalten Vernunft zu werden. Phänomene wie Ehre, Seele, das Gefühl oder Gemüt sind heute interessanter denn je.

Standard: Mit Blick auf Repräsentationsbedürfnisse: Ist nicht die Oper zur "Leitwährung" der szenischen Künste geworden? Bedeutet das für das Schauspiel nicht eine schleichende Entwertung?

Oberender: Das Musiktheater erreicht in Salzburg ein internationales Publikum, das Schauspiel zieht allein deutschsprachige Besucher an. Das war schon zu Max Reinhardts Zeiten so, auch er musste, bevor er 1937 ins Exil ging, im Grunde dem finanzkräftigen Opernbetrieb mehr Platz einräumen, als dies ursprünglich der Fall war. Generell denke ich, dass sich das Schauspielpublikum in den letzten 30 Jahren bereits in einer Weise verändert hat, die dem Opernpublikum erst noch bevorsteht. Hier sind wir der Oper voraus. Kreationen und Interpretationen, die den Anspruch von Uraufführungen erheben, begleiten in immer höherem Maße die Pflege eines Kanons. Das macht die Vitalität des Schauspiels aus – unser Repertoire ist, anders als in der Oper, noch längst nicht geschlossen, hier wird weiter Neues geschrieben und nachgespielt.

Standard: Können Sie knapp Ihren Etat und Ihre Möglichkeiten umreißen? Trügt der Eindruck – oder ist das Schauspiel-angebot schmäler geworden?

Oberender: Unser Etat beruht rein auf den zu erwartenden Kartenerlösen. Das gibt dem Schauspiel die Möglichkeit, neben einer Mammutproduktion wie Jedermann noch vier weitere Premieren für Salzburg zu kreieren, wobei ich bestrebt bin, Formate und Konstellationen zu schaffen, die Stadttheater so kaum hervorbringen. Im Vergleich zu früheren Jahren ist das Schauspielangebot deutlich umfangreicher geworden – fünf Salzburger Schauspielpremieren und weitere vier internationale Österreich-Premieren im "Young Directors Project", hinzu kommt noch die Serie "Dichter zu Gast" mit den Autoren Jeffrey Eugenidis und Richard Ford – das ist weit mehr, als die meisten Besucher überhaupt wahrnehmen können.

Standard: Stichwort "Jedermann": Wie sähe mittelfristig eine behutsame Transformation dieser "Cashcow" aus?

Oberender: Jedermann muss man nicht retten. Ein Stück, das 70 Jahre lang Kult geblieben ist, schaut zu uns und unserem Modebewusstsein recht gelassen herab. Christian Stückls Neuinszenierung war ein Schritt in Richtung Wiederbelebung, wir haben diesen Weg mit der revidierten Fassung beibehalten.

Standard: Ich erinnere mich an Münchner Proteste anlässlich der Premiere von Feridun Zaimoglus zotiger "Othello"-Version in den Kammerspielen. Ist mit Aufregung aus Anlass des Molière-Projektes auch auf der Perner-Insel zu rechnen?

Oberender: Zaimoglus Fassung war nicht nur zotig und derb, sondern über weite Passagen auch sehr poetisch und dicht und reagierte auf die originale Sprache dieses Söldnerstückes von Shakespeare. Zaimoglu spricht wieder, ähnlich wie in Othello, viele Sprachen – unter ihnen auch die derbe und grobe Prosa der Lust und Triebe. Mit Aufregung ist also unbedingt zu rechnen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.7.2007)