Wie oft Betty Davis in den vergangenen 20 Jahren totgesagt wurde - man weiß es nicht. Auch auf diesen Seiten wurde die enigmatische Funk-Lady schon einmal im Jenseits vermutet. Immerhin gab es kaum Informationen über die 1945 in North Carolina geborene Betty Mabry, die nach drei atemberaubenden Alben Mitte der 70er-Jahre sowie zwei späteren, eher missglückten Werken wie vom Erdboden verschwunden schien. Die Legende besagte, Davis sei drogenkrank ins gesellschaftliche Out geschlittert - und eben dahingegangen. Das schien schlüssig. Immerhin hatte diese bis heute ihresgleichen suchende Erscheinung mit ein paar der schlimmsten Finger im Business zu tun: Jimi Hendrix, der musikalischen Großfamilie um Sly & The Family Stone - und Miles Davis. Ja, der Miles Davis. Ihm verdankt sie ihren Nachnamen. Zwei Jahre lang war sie mit dem Jazz-Gott verheiratet, erweiterte in dieser Zeit dessen musikalisches Weltbild um James Brown, Jimi und Sly. Siehe: Bitches Brew.
Nach unerträglicher häuslicher Gewalt ließ sich Betty, die in Miles' Autobiografie lediglich als "Supergroupie" aufscheint, scheiden. Danach begann ihre eigentliche, leider nur sehr kurze Karriere. 1973 veröffentlichte sie ihr titelloses Debütalbum, und knapp 25 Jahre später klingt dieses Teil, dem in den beiden folgenden Jahren die ebenso umwerfenden "They Say I'm Different" sowie "Nasty Gal" folgten, vergleichslos. Nach Jahren, in denen Davis' Alben bestenfalls als Bootlegs erhältlich waren, hat nun das US-Label Light In The Attic, das zuletzt die tragische Soul-Folk-Dame Karen Dalton wiederveröffentlichte, die ersten zwei Alben von Betty Davis neu zugänglich gemacht. Dafür wurde die zurückgezogen in der Nähe von Pittsburgh lebende einstige Femme fatale des Funk sogar interviewt. Doch selbst die umfangreichen Book-lets lüften das Geheimnis dieser Frau nicht endgültig.
1972 jedenfalls zog es Davis von New York - wo sie unter anderem als Modell gearbeitet hatte - in die Bay Area von San Francisco. Dort entstand mit Musikern aus dem Umfeld von Sly & The Family Stone, Mandrill und der Graham Central Station Bettys Erstling: Ein von weiblichem Selbstbewusstsein geprägtes, hartes Funk-Album mit einer schlanken, tief im Blues verwurzelten "in your face"-Production, die zeigt, wie scharf Funk sein kann, wenn er von unnötigem Tand befreit ist. Statt ausschweifenden Soli und eitlen Fingerübungen (der Bassdaumen!) baut Bettys Funk auf sture Repetition mit kleinen, aber große Wirkung zeitigenden Modifikationen. Und mitten drinnen, zwischen hartem Snare, geilem Bass und vibrierenden Keyboardstößen, stöhnt, kreischt, fleht und behauptet sich die raue und - man muss es ganz deutlich sagen - extrem sexy Stimme unter dem schärfsten Afro seiner Zeit: Holy Sh..!!!
Das sind nicht bloß starke Alben, nein, es sind Manifeste des Funk, die im vorherrschenden schlüpfrigen Midtempo genauso fantastisch sind wie in den abgebremsten Stücken. Von angestochenen Songs wie dem irrwitzigen "Don't Call Her No Tramp" vom zweiten, glaubwürdig "They Say I'm Different" benannten Album, das mit einem elektrisierenden Keyboard aufwartet, ganz zu schweigen. Die neu edierten CDs sind um einige Bo- nustracks erweitert - und statt in einen weiteren öden Funk-Sampler mit den ewig gleichen Stücken der üblichen Verdächtigen zu investieren, sollte man sich dann doch lieber an diese Lady halten. Aber Obacht! Dieser Stoff fährt ein wie ein Stromstoß!