Pelle Carlberg: "In a Nutshell"

"Clever Girls Like Clever Boys Much More Than Clever Boys Like Clever Girls" - Pelle ist immer noch der Mann mit den besten Songtiteln, und das gleichnamige Stück muss das Herz jedes Belle & Sebastian-Fans höher schlagen lassen. Herausragend aus seinem zweiten Solo-Album das tragikomische Mut-Bekenntnis "Pamplona", für das ein Orchester samt Dirigentin aufgeboten wurde - mehrheitlich setzt der Mann aus Uppsala aber auf schlanken Gitarrenpop. Darin verpackt Pelle die selbstironisch betrachteten Misslichkeiten eines fast 40-jährigen Schüchtis, der weiß, dass ihn die Musik nie reich machen wird. Aber: "If I ever get happy, my songs will start to suck. But if I ever get happy I won't give a fuck." (Labrador)

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Pelle Carlberg

Coverfoto: Labrador

Les Rita Mitsouko: "Variéty"

Ein wunderbar paradoxes Album: Zwar wendet sich das Königspaar des französischen Avantgarde-Pop von seinen Funk- und TripHop-Ausflügen ab und wieder dem zu, mit dem sie vor 27 Jahren als New Wave-Band begannen: nämlich Rock und eher angloamerikanischen als mediterranen Einflüssen. - Doch tun sie dies auf noch nie dagewesen entspannte Weise. Songs wie "L'Ami Ennemi" oder "Communiqueur d'Amour" legen Zeugnis von der wiedergefundenen Straightness ab; besonders schön das ruhige Gitarren-, Cello- und Mellotron-Stück "Ma Vieille Ville". Und das Allerbeste: Catherine Ringer hat auch ihre Gesangstechnik wieder umgestellt: Statt Dauereinsatz der Kopfstimme werden nun wieder vor allem die tiefen Register gezogen. Und sie ist einfach cool wie Sau.

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Les Rita Mitsouko

Coverfoto: Six Sarl

Verschiedene: "Music for Hairy Scary Monsters"

Ähnlich wie Tomlab hat das Berliner Label Morr Music Platz für popmusikalische Experimentierfelder geschaffen. Auf dem durchwegs ruhigen und sehr schönen Sampler "Music for Hairy Scary Monsters" sind fünf KünstlerInnen des Labels mit jeweils zwei Stücken vertreten: Aus Island kommen der traurige Folk von Benni Hemm Hemm und die Gruppe Seabear, die sich soundmäßig zwischen gedämpften Beach Boys und Americana bewegt. Melancholisch (und in seiner Verbindung von Gitarren und Keyboards The Notwist ähnlich) der Belgier Dieter Sermeus alias The Go Find, vollelektronisch schließlich das britische Instrumental-Duo ISAN. Obendrauf zwei neue Stücke der großen Tarwater aus Berlin ... und über die hab ich mir in den vergangenen Jahren eh schon den Mund fusselig geredet. (Morr/Soulseduction)

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Morr Music

Coverfoto: Morr Music

Mice Parade: "Mice Parade"

Zum geläufigeren Begriff "Shoegazing" bietet die Wikipedia auch das Synonym "Dream Pop" an. Wie hübsch! Das kannte ich noch gar nicht, trotz all der gekauften Platten von My Bloody Valentine und Lush. Und er wird dem aktuellen Sound des Band-Projekts rund um den New Yorker Adam Pierce mit Sicherheit gerechter als "Noise Pop": Das Stück "Snow", in dem verhaltener Gesang wie Nebelschwaden durch sphärische Gitarrenloops treibt, erinnert zwar stark an MBV. In der Mehrzahl der Stücke wechselt das Rauschen aber mit Passagen an der akustischen Gitarre; und letztere überwiegen in Summe eindeutig. Als Gastsängerinnen mit dabei: Kristin Valtysdóttir von der isländischen Band Múm und Stereolabs Laetitia Sadier in gewohnter Eleganz. (Fatcat/Soulseduction)

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Mice Parade

Coverfoto: Fatcat

The Embassy: "Tacking"

Wer erinnert sich noch an China Crisis? Oder Haircut 100? Bands, die mit kunstfertigem Schmusesound die Zeit von '82 - '84 wie einen einzigen nicht enden wollenden Pop-Sommer erscheinen ließen. Allen, die damals alters- oder "In de Ochzger hob i nur de Sisters ghert"-bedingt verhindert waren, können bei Licht-und-Luft-Stücken wie "Some Indulgence" oder "It Pays To Belong" eine Ahnung davon bekommen, was einst unter "New Romantics" lief. Eine Spur percussion-betonter (man könnte auch sagen: housiger) als ihre Vorfahren, legt das mit Informationen unglaublich geizende Göteborger Duo Fredrik Lindson und Torbjörn Håkansson eine perfekte Platte vor: Wer Ecken und Kanten will, ist hier am falschen Schalter. (Service)

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The Embassy

Coverfoto: Service

Suzanne Vega: "Beauty & Crime"

Hut ab: Suzanne Vega fasziniert heute wieder genauso wie zur Anfangszeit mit "Marlene on the Wall" oder "Solitude Standing". Die Mischung aus urbanem Folk und Pop stellt die perfekte Entsprechung zu Suzannes Stimme dar: voll menschlicher Wärme und doch eine Spur distanziert; nur Sarah Cracknell schafft einen vergleichbaren Balanceakt. "New York is a woman ... and to her you're just another guy" - Suzannes Heimatstadt ist eines der beiden Hauptmotive auf "Beauty & Crime", Erinnerungen das andere: melancholisch, herzlich und gleichzeitig so unirdisch klar wie der Sound der Stücke. Angesichts gehypter Piepsmäuse, die im Folk- und Jazzpop aus allen Ecken hervorlugen, zeigt sich einmal mehr, was den entscheidenden Unterschied ausmacht: Klasse. (Blue Note)

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Suzanne Vega

Coverfoto: Blue Note

Hexstatic: "When Robots Go Bad!"

Nach soviel Wohlklang wird's nun Zeit für etwas Fetzigeres: Das britische Duo Stuart Warren Hill und Robin Brunson alias Hexstatic gewährt (siehe Albumtitel!) zu den akustischen Pendants von Laserfeuerwerk, Überschlagblitzen und Elektrosmog allerlei fidelen Maschinen Raum zum Austoben. Und damit nicht allein der Extrem-Vocoder am Wort ist, wurde auch Gaststimmen Platz gemacht: So kann Sabirajade ihrem Track einen Drall Richtung Soul geben, MC B+ hin zum R'n'B, Profisee zum HipHop. - Insgesamt eine heftig groovende Mischung, hektisch, metropolitan - und bei weitem nicht so trashig, wie's zunächst den Anschein hatte. (Ninjatune/Soulseduction)

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Hexstatic

Coverfoto: Ninjatune

Ragazzi: "Lumber"

Hui, was ist denn in die Ragazzi gefahren? Jahrelang stand die Berliner Band für lupenreinen Elektro-Pop der melancholischen Art, dann legen sie sich ein Rock-Alter Ego ("Ruler of the Wasteland") zu, ziehen sich aus der Öffentlichkeit ein Stück zurück - und plötzlich, vier Jahre später, ist alles Gitarre. Die klingt mitunter ("Forer You", "K2") richtig bratzig und gibt im zentralen Stück "Memory Mate" einen großartigen Wechselklang mit Viola und "Cembalo" ab. Alleine schon Matthias Einhoffs aggressionsloser, gänzlich un-rockiger Gesang lässt aber auch den neuen Ragazzi-Sound fest im Pop verankert bleiben - nicht weit entfernt von Ben Folds im übrigen. Überraschende, gute Platte. (Staatsakt)

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MySpace-Seite der Ragazzi

Coverfoto: Staatsakt

Pepe Deluxe: "Spare Time Machine"

Soll keiner das Wort "Klischee" aussprechen: Des Finnen Hang zum Skurrilen bestätigen "James Spectrum" und "JA-Jazz" hier einmal mehr. Spätestens beim zweiten Stück, "Ms Wilhelmina and Her Hat", wird klar, dass die "Spare Time Machine" mit höchst seltsamer Treibstoff-Zusammensetzung fährt: Sixties-Pop à la Kinks mischt sich mit psychedelischem Gedudel aus dem Ashram und wird schließlich von einem funkigen Synthesizer erschlagen. Weiters tauchen auf: Morricone-Sound, Psychobilly, Blues, Orchester-Pomp und Easy Listening-Bearbeitungen wie aus dem Hause Pizzicato 5. Die Stücke bilden allesamt keinen Bogen, sondern eher eine Schnur, an der höchst unterschiedliche Variationen des Grundthemas aneinander gereiht werden. Die unvorhersagbarste Platte des Monats. (Catskill/Soulseduction)

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Pepe Deluxe

Coverfoto: Catskill Records

Gossip: "Standing In The Way Of Control"

Zum Abschluss noch ein buchstäblicher Kracher, der Re-Release des 2006 erschienenen Gossip-Albums auf einem Major Label. Vor einem Jahrzehnt wäre die hochenergetische und zugleich sehr groovige Punk- bzw. Hardcore-Definition von Gossip wahrscheinlich noch in den Kontext Riot Grrrls gestellt worden. In jedem Fall bringt die stimmgewaltige Sängerin Beth Ditto ein gehöriges Blues- und Soul-Element mit ein, beim Wüten ("Standing in the Way of Control") ebenso wie beim Leiden ("Coal to Diamonds"). Und durch zwei beigefügte Remixes endet das Album auch nicht mehr just mit dem pessimistischen "Dark Lines". Schließlich lautet die zentrale Botschaft von Gossip: "Get up, stand out and hold your head up higher!" (Sony)

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Gossip

Coverfoto: Back Yard Recordings/Kill Rock Stars/Sony