Der Schweizer Medienzampano Bernard Weber ist stolz auf seine neuen sieben Weltwunder: "Mit den neuen Welt-wundern ist es zum ersten Mal in der Menschheit möglich, ein globales Gedächtnis zu schaffen. Und das ist schon fast unheimlich." Fürwahr.

Collage: Czaja
Die Welt liebt die Sieger, die Hitlisten und die Rankings. Ganz gleich, ob in Sport, Politik oder Kultur, die gegenwärtige Gesellschaft funktioniert nach den immergleichen Spielregeln: Sie trennt die Spreu vom Weizen, die Verlierer von den Gewinnern. Wenn es nach dem Philosophen Peter Sloterdijk geht, dann können sich die Menschen dem Wettkampf um den Besten, Höchsten und Größten gar nicht verwehren, handelt es sich dabei doch um "alte biologische Programme mit tief sitzender Erfolgsorientierung".

Und nicht einmal die Historie bleibt verschont. Mit der weltweiten Medienkampagne "The New 7 Wonders" ist der nicht enden wollende Wettstreit um die Superlative jetzt auch noch auf altes Kulturgut aus längst vergangenen Tagen übergeschwappt. Bernard Weber, seines Zeichens eine Art Filmemacher, Kurator und Abenteurer, sah in den sieben Weltwundern der Antike einen großen Nachteil - bis auf die Pyramiden in Gizeh stünden Sie alle nicht mehr. Webers Ziel war es daher, die Idee der großen sieben in die Gegenwart zu holen und auf jene Bauwerke zu beschränken, die heute noch existieren.

Dass die Deutschen mit dem Schloss Neuschwanstein in den Ring gestiegen waren, zauberte den Weltenbewohnern ein Schmunzeln ins Gesicht. Als die deutschen Politiker knapp vor der Endausscheidung erfahren hatten, dass ihr Kandidat nicht mehr unter den Favoriten der letzten Runde weile, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier seine ursprünglich zugesagte Teilnahme in Lissabon doch glatt wieder ab. Deutsche Medien amüsierten sich ob der peinlichen Aktion.

Zu welchem Ergebnis die jahrelange Kampagne bei der Endausscheidung am 7. Juli 2007 geführt hat, war am Folgetag in den Zeitungen zu lesen. Doch eine Frage bleibt unbeantwortet: Warum? "Die Kultur dieser Welt soll aus der verstaubten Ecke der Museen herausgeholt werden", sagt Tia Viering, Pressesprecherin des Schweizer Medienstars, "wir wollten eine Auswahl an architektonischen Kunstwerken treffen, die die Leute in ihr Herz schließen können." Schöne Worte. Was sich hinter dem rührenden Geständnis verbirgt, zeigt ein Blick auf den großen Präsentations-Event in Lissabon, der vor zwei Wochen über die Bühne ging. Neil Armstrong, José Carreras, Jennifer Lopez, Chaka Kahn, Hilary Swank und viele andere - alle waren sie da, um das große Rambazamba vor laufenden TV-Kameras zu unterstützen. Allein, trotz großer Namen blieben die großen TV-Sender aus.

Jordanien, Brasilien, Peru, Indien und China standen mit ihren TV-Kameras an Ort und Stelle, doch aus Europa und Nordamerika kam kein Mensch. Gibt es seitens der USA und der europäischen TV-Sender denn kein Interesse an den neuen sieben Weltwundern? "Europa und USA interessieren sich offensichtlich nicht für Kultur", sagt Viering, "da schauen die Menschen lieber Big Brother, als dass sie daran teilhaben, ein Stück Geschichte mitzuprägen." Schade für Bernard Weber und sein Team, hatte man sich wahrscheinlich einen größeren Erlös am Verkauf der Übertragungsrechte erhofft. Doch auch mit den wenigen Ausstrahlungsinteressenten aus Südamerika und Asien sei es gelungen, nach jahrelangen Investitionen - rund zehn Millionen Euro wurden in die Kampagne bisher hineingebuttert, der Großteil des Geldes wurde gespendet - den Break-even-Point zu erreichen.

Ab sofort, heißt es aus dem Büro von Bernard Weber, sei man dabei, Gewinn zu machen. Hinzu kommen die Rechte am Logo, am Konzept sowie an Büchern, Filmen und sogar Kinderspielzeug. Erste Anfragen sind bereits erfolgt. Was will man mit dem Geld machen? "Wir haben uns verpflichtet, 50 Prozent der Gewinne in Zukunft in die Restaurierung der neuen sieben Weltwunder und einiger anderer Monumente zu investieren", erklärt Viering. Die Bauwerke werden aufgezeichnet, dokumentiert und photogrammetrisch erfasst. In Folge möchte man von den sieben gekürten Bauwerken dreidimensionale Modelle anfertigen. "Sollte den neuen Weltwundern eines Tages das Gleiche widerfahren wie den antiken, dann möchten wir zumindest auf genaue Aufzeichnungen zurückgreifen können. Es wäre schade, irgendwann einmal nicht mehr zu wissen, wie das eine oder andere Weltwunder überhaupt ausgesehen hat." Was mit den restlichen fünfzig Prozent der Erlöse geschehen wird, darüber schweigt man sich aus.

Die Unesco hat sich von diesem medialen Spektakel bereits längst distanziert. "Sentimentale und symbolische Werte allein reichen nicht aus, um ein Bauwerk auf eine neue Liste zu setzen", heißt es in einer offiziellen Stellungnahme aus Paris, "wissenschaftliche Kriterien müssen definiert werden, die Qualität der einzelnen Stätten muss evaluiert werden, ein juristisches und organisatorisches System muss aufgestellt werden." Bei der Privatinitiative von Bernard Weber sei all das nicht passiert. Fazit: "Zwischen Webers medialisierter Kampagne und der wissenschaftlichen und aufklärerischen Arbeit der Unesco gibt es keinerlei Vergleichsmöglichkeit."

Mona Mairitsch, Welterbe-Beauftragte der Unesco und deren stellvertretende Generalsekretärin in Wien, schließt sich im Gespräch mit dem Standard den Zweifeln an: "Die mediale Kampagne von Bernhard Weber entspricht einfach nicht den universellen, objektiven und wissenschaftlichen Ansprüchen, denen wir uns beispielsweise verpflichten." Allein dass die Weltwunder per Internet ausgewählt wurden, aber nur zwei Prozent der Weltbevölkerung überhaupt ans Netz angeschlossen sind und davon 90 Prozent in industrialisierten Ländern leben, spreche nicht für die Repräsentativität der 7 neuen Weltwunder.

Auch die Wunderwahl selbst wirft einige brennende Fragen auf. Die Nominierung und die eigentliche Endauswahl erfolgte per Publikumsvoting via SMS und Internet. Ganz so wie bei Starmania und beim Songcontest. Das Auswahlverfahren dazwischen lief über eine eigens zusammengestellte Jury aus internationalen Architekten (Vorsitz hatte Federico Mayor): Cesar Pelli (USA), Harry Seidler (Australien), Zaha Hadid, (Großbritannien), Tadao Ando (Japan), Yung Ho Chan (China) und Aziz Tayob (Südafrika). Die prominenten Namen in Ehren, doch Geschichtsexperten sind sie alle nicht. Selbst Aziz Tayob - im Übrigen das einzige Jurymitglied, das auf Anfrage des Standard Auskunft erteilen wollte - zweifelt an der Kompetenz der Juroren: "Das sind alles großartige Architekten, keine Frage. Aber wir wissen, dass ihre Namen hier mehr gezählt haben als ihr geschichtliches Fachwissen."

Experten und Konsulenten wurden den Juroren nach Auskunft Tayobs nicht zur Seite gestellt. "Ich habe auf eigene Faust mit zwei Fachleuten zusammengearbeitet. Außerdem habe ich beschlossen, dass man die eigenen Favoriten in Natura sehen muss. Also bin ich zu jenen Bauwerken hingeflogen, die ich noch nicht gekannt hatte." Würden Sie so einen Job noch einmal annehmen? Tayob: "Ich hätte mir gewünscht, dass Weber an die Sache wissenschaftlicher herangeht. Mich wundert auch, dass die sechs Jurymitglieder einander nie getroffen haben. Wir haben ausschließlich via E-Mails korrespondiert. Unter derartigen Umständen würde ich wahrscheinlich nicht mehr teilnehmen wollen."

Nicht unwesentliche Kleinigkeit am Rande: Die sechs Architekturjuroren arbeiteten ehrenamtlich. Nach Auskunft von Aziz Tayob erhielten sie nicht einmal Spesen und Aufwände rückerstattet. "Die Architekten fanden unsere Initiative ganz toll und wollten aus diesem Grund unbedingt mitmachen", heißt es aus dem Büro von Bernard Weber, "eine finanzielle Entschädigung hätte hier nicht gepasst."

Was den Erdenbewohnern bleibt, sind sieben neue Weltwunder. Insgesamt 100 Millionen Menschen haben ihre Stimme abgegeben. Die Identifikation dürfte bei den Gewinnern dementsprechend groß sein. Doch hinter den Kulissen ist das neue "Wundergesiebt" nichts anderes als Starmania, Dancing Stars oder Big Brother - über den Umweg demokratischer Illusion bindet man die Leute an sich und erhält dadurch Zuschauerquoten, Ruhm und finanziellen Profit. Schade, dass die kapitalistische Trickkiste nicht auf tanzende und singende Sternchen beschränkt ist. Jetzt wird auch noch die Baukunst aufgefressen.

Die nächsten Weltwunder-Wahlen stehen indes schon an. Kommendes Jahr geht es der Natur an den Kragen, gefolgt von technischen Errungenschaften und Friedensleistungen. Die Sieger werden lauten: Ayers Rock, Internet und Mutter Teresa. Wetten? (Wojciech Czaja, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 21./22.07.2007)