Koexistenz in Trümmern: In Shusha lebten vor dem Krieg Karabach-Armenier und Aserbaidschaner zusammen. Die große Moschee der Stadt zerfällt.

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Motorprobleme vor der Hochzeit in Stepanakert: Die Armenier richten sich auf ein Leben ohne Aserbaidschaner ein.

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Schulweg durch die Ruinen von Shusha: Krieg und Flucht haben Karabachs Kinder schon nicht mehr erlebt.

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"Ich würde den ganzen Tag sagen: ,Ich liebe die Armenier.'" Gukasian, Führer der nicht anerkannten Republik Karabach, hat einen Rat für Baku.

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Eine Stadt wie in einer Wok-Pfanne. Schlecht in Kriegszeiten, wenn die feindliche Artillerie leicht von den Bergeshöhen auf Häuser und Plätze feuern kann. Schlecht auch im Frieden, wie jetzt, wenn Stepanakert seine nur noch 50.000 Bewohner im Griff hält.

Sieben Fahrstunden sind es bei gutem Tempo von Armeniens Hauptstadt Eriwan nach Stepanakert. Die letzten 40 Kilometer Straße winden sich durch den Fels wie mit dem Spaten ausgestochen. Dann liegt das Niemandsland schon hinter dem Besucher, das leer geräumte Gebiet vor dem Eingang zu Berg-Karabach, das armenische Truppen den Aserbaidschanern entrissen hatten. Nein, sie komme hier nie her-aus, sagt die junge Frau leise. "Ich bin immer hier, jeden Tag, jede Woche."

Politischen Sackgassen

Die sanfte Stimme hinter dem Rezeptionstisch hat sich dem eintönigen Leben ergeben, das Stepanakert über seine Bewohner ergießt. Der Weg in die Hauptstadt der autonomen Republik Berg-Karabach, die sich schon mehrfach feierlich für unabhängig erklärt hat, aber international nicht anerkannt wird, ist eine der politischen Sackgassen im Kaukasus. Kein offizieller Postweg, kein einfaches Telefongespräch, die Welt kommt aus dem Fernseher.

Gohar, so soll die junge Frau heißen, hat es erfahren. Elf Jahre ist es her, dass sie mit ihren Eltern aus Karatschai-Tscherkessien, einer anderen, dieses Mal russischen, Kaukasusrepublik, zurück nach Stepanakert kam. Der Krieg war gerade aus. Jetzt nennt Gohar ihren Chef, einen feisten Mann mit dem wiegend-schweren Gang der Bauern, "Herr Direktor".

Plünderungen

Drei kleine Hotels hat der "Herr Direktor" nach und nach auf seinem Grundstück hochgezogen, das jüngste ist erst seit einem Monat offen. Wenn auch sonst Krieg und Plünderungen ihre Spuren in den Dörfern von Karabach hinterlassen haben: In Stepanakert wird wie besessen gebaut. Neue Restaurants, neue Geschäfte, ein neues Parlament, als ob sich die Vergangenheit eines gemeinsamen Lebens zwischen Armeniern und Aserbaidschanern, zwischen Christen und Muslimen in der früheren Sowjetrepublik damit auslöschen ließe.

"Haroshi perspektivi", sagt der Vizeaußenminister, "gute Aussichten" für die Zukunft der Republik, nicht nur der Touristen wegen, die nun kommen und sich einen exotischen Urlaub in den Bergen leisten. Dann gibt es noch die neue Konservenfabrik, die Gold- und die Kupferminen. Masis Mailyan zieht vorsichtig zwei Bildbände aus dem Büroregal. Schloss Schönbrunn und Ansichten von Prater und Hofreitschule - sein Andenken an neun Monate Studienaufenthalt bei der Diplomatischen Akademie Ende der 90er-Jahre. In Wien auch, am Sitz der OSZE, wird der Konflikt um die Enklave Berg-Karabach seit bald 15 Jahren hin- und hergewendet.

Sicherheitssystem

Werden die Aserbaidschaner eines Tages wieder zurückkommen können? "Nur wenn die Republik international anerkannt wird", sagt Karen Ohanyanjan, "und ich bin der liberalste Mensch in Karabach. Die Anerkennung erlaubt uns, ein politisches Sicherheitssystem zu schaffen."

Ohanyanjan, Enkel des Zaristen-Obersts Daniel Bek Pirumov, der den Türken 1918 in der Schlacht von Sardarapat in Westarmenien, mag die Demokratisierungsversuche in der Minirepublik als bestenfalls halbherzig kritisieren - was die äußere Lage betrifft, liegt er ziemlich auf Linie mit dem Präsidenten.

Diaspora

Arkadi Gukasian also. Der Präsident von Berg-Karabach, gestützt auf eine kleine Armee, die immer noch als die schlagkräftigste im Südkaukasus gilt, auf das Geld der armenischen Diaspora und die Lebenslinie nach Eriwan, empfängt seinen Besuch im Gebäude der Parteichefs von einst. Gukasian, ein früherer Journalist, ist ein eleganter Mann. "Wir haben keinen gemeinsamen Weg mit Aserbaidschan", sagt er und zieht an einem Zigarillo. Er versuche sich immer vorzustellen, wie es wäre, Ilham Alijew zu sein, der Präsident im Nachbarland Aserbaidschan. "Ich würde den ganzen Tag sagen: 'Ich liebe die Armenier' - so wie Saakaschwili in Georgien von den 'Brüdern' in Abchasien und Ossetien spricht und wirbt." Aber Ilham Alijew sagt so etwas nicht, und hinter Gukasians Ironie verbirgt sich eine kalte Entschlossenheit: nie wieder Karabach in die Hände der Aserbaidschaner zu geben. (Von Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2006)