In der Wiener Leopoldstadt gibt es 15 Billa-Filialen. Trotzdem soll es Menschen geben, "die den Billa nicht finden" und zu Natan Abaev ins Geschäft beim Karmelitermarkt kommen, "ein Mineralwasser oder sonstwas" erstehen und vielleicht gar nicht merken, worum es hier geht: Herr Abaev führt nur Koscheres. Das Sortiment ist trotzdem breiter als bei Billa: "Hadar" nennt sich der Laden - Hebräisch für "die Pracht".

Foto: derStandard.at/Simon Graf

Die meisten KundInnen kommen aber nicht für ein Mineralwasser: "Immer mehr Menschen essen koscher", erklärt Herr Abaev. Warum? "Weil es jetzt genügend Angebot gibt", meint er. Vier Supermärkte, zwei Bäckereien, vier Fleischhauereien und ein Weinshop sind allein im zweiten Bezirk auf Koscheres spezialisiert. Dazu kommen noch ein paar koschere Restaurants, Imbissbuden und koscheres Catering.

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Unter Kaiser Franz Joseph erfuhr die jüdische Bevölkerung in Wien einen enormen Zuzug: 147.000 Juden und Jüdinnen wurden laut Kultusgemeinde um die Jahrhundertwende gezählt. Der zweite Bezirk war besonders stark vom jüdischen Beitrag zur Stadtkultur geprägt. Wegen der lebhaften Kaffeehauskultur wurde er auch "Mazzesinsel" genannt. Mazzes sind ungesäuerte Teigfladen, die speziell zum Pessachfest gegessen werden.

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"Mazzes" hätte auch der Laden ursprünglich heißen sollen, aber "das hat zu sehr nach der vergangenen schlechten Zeit geklungen." Herr Abaev, der in Usbekistan geboren ist, ging mit zwölf Jahren mit seinen Eltern nach Israel. Drei Jahre lang lebte er bei Tel Aviv, dann kam er nach Wien. Im Geschäft trifft er ähnlich weit Gereiste: Man grüßt sich auf Deutsch, scherzt auf Hebräisch und diskutiert auf Russisch.

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Süßigkeiten, Kekse und eingelegtes Gemüse werden am meisten gekauft: "Essiggurken aus Israel schmecken ganz anders als die von hier". Manche nichtjüdische KundInnen kommen auch, weil sie gerade in Israel waren "und wieder israelischen Hummus essen wollen".

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Hummus ist nicht nur köstlich, sondern auch verdienstvoll: Die Kichererbsenpaste soll mit ein Grund sein, warum es in Mesopotamien hochkulturell so gut geklappt hat. Mit der täglichen Hummus-Mahlzeit nahmen Herr und Frau MesopotamierIn nämlich jede Menge an Tryptophan zu sich, eine wertvolle Aminosäure, die nicht nur für gute Laune, sondern auch für ein geringeres Aggressionspotenzial und höhere (weibliche) Fruchtbarkeit sorgen soll.

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Koscher (hebräisch: כשר ) bedeutet "rein" im Sinne der Kashrut, den jüdischen Speisegesetzen. Da Gesetze aber immer dehnbar sind, gibt es auch in der jüdischen Küche unterschiedliche Auffassungen darüber, was wirklich koscher ist. Unterschiedliche Hechscher - "Kennzeichnungen" - geben Auskunft darüber, wie streng oder locker der/die ProduzentIn die Gesetze interpretiert hat.

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Herr Abaev hat fünf Sorten Hummus im Sortiment – in diversen Geschmacksrichtungen von mild bis scharf.

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Dass alles mit koscheren Dingen zugeht, verbürgte im Fall dieser Weizencracker der Rabbiner Jacob Moshe Charlap aus Tel Aviv mit seinem Namen.

Dieser Frischkäse sei ein Beispiel für weniger rigide Küchenpolitik: "In dieser Fabrik wird auch am Schabat gearbeitet. Viele kaufen das deshalb nicht", erklärt Herr Abaev.

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Meeresfrüchte sind allesamt trefe, "nicht koscher". Also greift man zu Tricks: Diese Delikatesse namens "Shrimps Style" wird aus faschiertem Fisch gemacht.

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Auch Frösche sind unkoscher, egal ob aus dem Tümpel oder von Haribo. Bei der dieser Version der Gummitiere wurde jedoch auf die Schweinegelatine verzichtet. "Parve" bedeutet übrigens "ohne Zusatz von Milch- oder Fleischprodukten".

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Schweinefleisch kommt in der koscheren Ernährung nicht vor. In Würste kommt nur Pute, Rind oder Lamm. Diese Rindersalami ist ein belgisches Erzeugnis, wie viele der Fleischwaren in Abaevs Regalen. Sonst bezieht der Shopbesitzer aber neunzig Prozent seiner Waren aus Israel. Am Anfang sei es "sehr kompliziert" gewesen, ein Lieferantennetz aufzubauen, jetzt läuft "viel übers Internet". Trifft eine Großlieferung ein, helfen FreundInnen und Bekannte beim Ausräumen.

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Fürs Pessach-Fest, das an die Befreiung der IsraelitInnen aus der ägyptischen Gefangenschaft erinnert, gibt es sogar eigenes Backpapier: Hier sei garantiert, "dass in der Fabrik niemand mit Gesäuertem Kontakt hatte", erklärt Frau Abaev. Zu Pessach wird eine Woche lang Hefe, Backpulver und sonstiges Triebmittel gemieden - im Gedenken an die Flucht, als keine Zeit mehr blieb, auf das Gären des Brotteigs zu warten.

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Eine weitere Pessach-Spezialität, aber ganzjährig im Regal: Mazze-Bällchen, die als Suppeneinlage gegessen werden. "Die sind so ähnlich wie eure Grießnockerln", erklärt Frau Abaev, die im Laden mitarbeitet.

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Gebacken wird ansonsten viel und in rauen Mengen, wie dieses Ensemble an Kuchenformen belegt. "Viele meiner Kunden haben mehrere Kinder und wenig Geld, da kommt es billiger, selbst zu backen", erklärt Herr Abaev.

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Herr Abaev, der dank der mobilen Handy-Freisprechanlage am Ohr stets die Hände zum Einschlichten frei hat, fühlt sich wohl im Zweiten. Seine Wohnung liegt im Geschoß über dem Laden, was den Nachteil, an zwei Tagen die Woche geschlossen halten zu müssen - am Schabbat und an Sonntagen - zumindest ein wenig kompensiert: "Die Leute kennen mich. Wenn sie Samstag nach Sonnenuntergang schnell etwas brauchen, dann rufen sie mich an und ich öffne für sie." Natürlich nur im Winter - neben den Gesetzen der Kashrut gelten auch jene der Ladenöffnungszeiten. (Maria Sterkl, Michael Robausch, derStandard.at, 22.7. 2007)

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