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Meisls Wunderteam, das am 16. Mai 1931 mit dem 3:0 über Schottland auf der Hohen Warte zu Wien quasi geboren wurde: Zischek, Gschweidl, Sindelar, Schramseis, Hiden, Braun, Gall, Bulm (stehend von li.) sowie Smistik, Schall, Vogl.

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Wien - Wenn Hugo Meisl eine Fähigkeit nicht hatte, dann wohl die: nicht zufrieden sein zu können mit etwas endlich Erreichtem. Falls es aber doch einen Augenblick der Zufriedenheit gegeben hat im Leben des Fußball-Zampanos, dann fiel der ziemlich sicher auf den 17. Juni 1927. Auch geografisch lokalisieren ließe sich dieser Moment: Venezia SL. Hugo Meisl steigt in den Schnellzug nach Wien. Schnaufend rollt der an, über den Brückendamm der Lagune, hinüber nach Mestre.

Und da mag es passiert sein: Hugo Meisl lehnt sich zurück in den Polster des Schnellzug-Coupés. Und ist zufrieden mit sich und der Welt.

In den vergangenen zwei Tagen ist ihm nämlich gelungen, worauf er mit einer geradezu beängstigenden Verbissenheit hingearbeitet hat. Er hat - nicht umsonst wurde von Andreas und Wolfgang Hafer die Biografie über ihren Großvater so betitelt - die "Erfindung des modernen Fußballs" bis zur Prototypreife geführt. Schon im späten Sommer des Jahres 1927 - also heuer vor 80 Jahren - ist Europa dann tatsächlich in ein neues ballesterisches Zeitalter getreten.

Am 15. und 16. Juli 1927 trafen einander in Venedig die führenden Fußballfunktionäre Italiens, Ungarns, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Rumäniens, der Schweiz und Österreichs, und einigten sich auf die Veranstaltung zweier internationaler Bewerbe.

Noch im August begann der Mitropacup - benannt nach dem wohl ersten Bewerbssponsor der Geschichte, der deutschen Schlaf- und Speisewagengesellschaft Mitropa -, eine Konkurrenz zwischen den besten mitteleuropäischen Vereinen. Und ein Monat später begann in Prag mit der Partie Tschechoslowakei gegen Österreich, die übrigens die Gastgeber 2:0 gewannen, der Cup der Nationalmannschaften.

Aus dem Mitropacup wurde in den Fünfzigerjahren der europäische Cup der Meister. Und der Nationencup endete am Dreikönigstag 1960 in Neapel mit dem 3:0 Italiens über die Schweiz. Noch im selben Jahr startete die UEFA in Paris ihren Nachfolgebewerb. Im Pariser Finale schlug die Sowjetunion Jugoslawien 2:1 und wurde damit keineswegs zum ersten Europameister der Geschichte.

Der Grund zur Etablierung dieser beiden internationalen Bewerbe lag in der schon 1924 getroffenen Entscheidung Österreichs, den Scheinamateurismus der Olympier über Bord zu werfen. Angetrieben von Hugo Meisl entschied sich Österreich 1924 für den Profifußball. Die Tschechoslowakei und Ungarn folgten.

Der Kampf um die nationale Profimeisterschaft ging freilich auf Kosten der lukrativen internationalen Spiele. Tatsächlich sprechen sogar die lieblichen Legenden - die den Geburtsort des Mitropacups ins Wiener Wirtshaus "Zum Kremslehner" verlegen - vom Geist des Vereinsdefizits, aus dem die Sache gewachsen sei.

Der Plan, internationale Bewerbe zu etablieren, kratzte allerdings an der allumfassenden Kompetenz der FIFA, die ihrerseits im Clinch mit dem IOC lag und sich deshalb mit dem Gedanken trug, ein eigenes Turnier - eine Weltmeisterschaft - zu veranstalten.

Quasi ein Sanktus

Hugo Meisl, der stattdessen einem europäischen Bewerb das Wort redete, fand zumindest so viel Unterstützung, dass die Idee einer zentraleuropäischen Konkurrenz beim FIFA-Kongress 1926 zumindest nicht untersagt wurde. Was für Hugo Meisl wie ein offizieller Sanktus war.

Der freilich folgte erst im Jahr darauf, beim FIFA-Kongress im Juni 1927. Der Weltverband scheute davor zurück, den stärksten kontinentaleuropäischen Verbänden - Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich - die Boykott-Rute ins Fenster zu stellen. Die Vorbereitungsarbeiten waren auch schon zu weit gediehen.

Am 15. und 16. Juli brauchte in Venedig das neu installierte Mitropacup-Komitee die Sache - die für Amateure und Profis offene Vereins- und Nationenkonkurrenz - also bloß noch abzunicken.

Hugo Meisl zog sich als Sekretär in die zweite Reihe zurück, dort wo die Fäden zusammenlaufen. Und war für einen kurzen Augenblick zufrieden. Wären da nicht die Nachrichten aus Wien gewesen: Als der Kongress in Venedig tanzte, brannte dort der Justizpalast. Ein Feuer, das Europa nur wenige Jahre überleben sollte. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, Donnerstag, 19. Juli 2007)