Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war gestern. Da hatte M. Glück. Weil ihr Mechaniker Zeit haben könnte. Und als M. vorbeiging, gerade vor der Tür stand. Da hat er M. gesagt, dass er sich jetzt doch die Zeit nimmt – und ihr Rad reparieren wird.

So in drei oder vier Tagen könne sie es dann wieder abholen. Aber M. müsse sich beeilen – und ihr Rad gleich bringen. Dann habe er es vor sich stehen – und wenn sich Zeit ergäbe, könne er sich um die beiden Lappalien kümmern.

Warteplatz

Obwohl das der Chef nicht gerne sähe, sagte der Mechaniker. Schließlich nähme M.s Rad ja anderen Warteplatz weg – und bei denen gäbe es mehr zu tun, als bloß einen Reifen zu flicken und eine quietschende Bremse einzurichten.

M. ist die Sache eh peinlich: Patschenflicken sei doch nix. Bloß: Das letzte Mal, als sie an einem Fahrrad herumgeschraubt hat, war sie ein Kind. Und die meisten Bikes seien nach ihrem Eingriff auch nicht besser gefahren.

Garten

Aber auch wenn dem nicht so sei: Damals habe sie am Land gewohnt. Es gab einen Garten. Man hatte Werkzeug. Und Pickzeug. Aber heute, in der Stadt, habe sie all das nicht. Und weder Lust, das Rad am Gehsteig zu reparieren, noch es in den dritten Stock zu schleppen (in den Lift passt es nicht). Und sich dann Teppich oder Möbel dreckig zu machen.

Außerdem, so M., quietsche die Bremse ja auch – und da fehle ihr sogar jenes theoretische Knowhow, das sie beim Reifen noch aufbrächte. Ganz zu schweigen von dem Umstand, dass sie – so wie ihr Freund - einfach keine Lust habe, sich beim Dilletieren am Rad blöd anzustellen, wenn es Leute gäbe, die Radreparieren und –servicieren als Beruf hätten: Beim Auto erwarte schließlich auch keiner, dass man mehr könne, als den Pannendienst anzurufen.

Mondkalb?

Blöderweise ist M.s Problem aber zu banal, um in Sportgeschäften ernst genommen zu werden: Dort, wo sie das Rad gekauft hat sah man sie überhaupt so an, als käme sie vom Mond: Man repariere zwar. Und serviciere auch. Aber nicht unter einem gewissen Auftragsvolumen. Und sicher nicht in diesem Monat: M. müsse verstehen, dass Fahrräder-zum-Verkaufen-Zusammenstecken und große Eingriffe wichtiger seien.

M. versuchte es bei einigen Geschäften Überall ohne Erfolg: nicht unter drei Wochen Wartezeit. Und ein netter Mechaniker – der, der sie später auf der Straße wieder erkannte – zeigte ihr den Innenhof seines Radgeschäftes: Voll mit Rädern, die er flott kriegen solle. Beim besten Willen ... und so weiter.

Grundsätzlich

Dann wurde der Mechaniker grundsätzlich: Ms Problem, tröstete er die junge Frau, sei kein Einzelschicksal. Im Gegenteil: Sie sei Mainstream. In Wien denke halt kein Mensch darüber nach, wie der langsam doch wachsende Anteil an Alltagsradfahrern versorgt werden solle: Schon der aktuelle Anstieg des Radverkehrs führe zum Kollaps. Und das sei auch bei den Kollegen weder Arroganz noch böse Absicht: Bedanken dürfe M. sich da bei der Politik.

M war erstaunt – und lernte: in den 70er-Jahren gab es den Lehrberuf des Fahrradmechanikers. Der wurde abgeschafft. Weil kein Mensch sowen braucht, erklärte der Mechaniker ("Ich bin Spezialist für Hydrauliksysteme und Schaltgruppen – also Hilfsarbeiter.") Und während man in Deutschland längst erkannt hat, dass das ein grober Fehler war, regiere hierzulande Ignoranz: Verkehrspolitik erschöpfe sich im Errichten von Radwegen, auf denen Radfahrer sich mit Fußgängern prügeln – denn jeder, der von der Straße weg ist, schafft Platz für Autos.

Keller

M. verstand. Und rief mich an: Ob ich ihr helfen könne, ihr Rad zum Service zu bringen? Schieben könne sie selbst – aber das Ding aus dem Keller heraufzuholen wäre mühsam und ihr Freund verreist. Wieso das Rad im Keller steht, fragte ich, M. sei doch Stadtradlerin – und ihr Fahrrad stehe im Stiegenhaus.

M. seufzte: Ja, früher. Denn es gäbe nicht nur in Wien, sondern auch in ihrem Haus immer mehr Menschen, die aufs Rad stiegen. Und ab dem 15. an Stiegenhausgeländer und Lichthofmöblierung geketteten Rad habe die Hausverwaltung dann beschlossen, dass das zuviel sei. Und nachdem ein Verbotsschild kollektiv ignoriert worden war, seien Briefe mit Klagsdrohungen gekommen. Aber auf den Garagenplätzen unter dem ziemlich neuen Haus, könne man Räder nicht anhängen. Das sei auch nicht vorgesehen

Eigentlich, fiel sich M. dann selbst ins Wort, brauche ich ihr ja gar nicht zu helfen, das Rad aus dem Keller zu holen. Die Perspektive, es in Zukunft täglich rauf und runter schleppen zu müssen, sei nämlich ein Abturner: Das sei nur mühsam. Darum werden sie sich das mit dem Radfahren in der Stadt noch einmal überlegen. Ganz generell.. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 19.7.2007)