Komplett daneben, aber erwogen: Das ORF-Zentrum nach Originalplänen neu neben dem alten aufzubauen.

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Aus der baufälligen Anstalt auf dem Küniglberg drang bisher nur die halbe Wahrheit über Sanierung und Neubau des ORF-Zentrums. Wer Betriebskosten mitkalkuliert, kommt zu einem neuen Bild. Und nebenbei auf skurrile Pläne, den Roland-Rainer-Bau zu klonen.

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Wien - Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF auf dem Wiener Küniglberg waren immer wieder besonderem Lärm ausgesetzt. Fachleute untersuchten mit allerlei Probebohrungen den baulichen Zustand des in die Jahre gekommenen Gemäuers. Ihr Urteil: Zumindest in den kommenden fünf bis sechs Jahren sei das Haus noch nicht einsturzgefährdet. Immerhin.

Doch auch ohne dieses Worst-Case-Szenario zu bemühen: Würde der ORF auch nur andeutungsweise nach wirtschaftlichen Kriterien geführt (werden können), müsste das Unternehmen die Immobilie am Berg schleunigst verlassen.

Überalterter Bau

Aus einer dem STANDARD in Auszügen vorliegenden Studie der Hamburger Immobilienexperten Quickborner geht deutlich hervor, dass das Unternehmen jeden Tag, den es in Roland Rainers vormals innovativer, nach heutigen Kriterien jedoch in jeder Hinsicht überalteter Architektur residiert, viel Geld verliert.

Drei Szenarien wurden durchgerechnet: Minimalsanierung, Maximalsanierung sowie Neubau. Die Investitionskosten, errechnet nach Vollbetrieb inklusive Betriebskosten und auf die Länge von 25 Jahren, betragen für einen Neubau 320 bis 330 Millionen Euro, für eine Maximalsanierung 350 Millionen.

Allein die Betriebskostendifferenz zwischen der noch nicht einmal erfolgten Minimalsanierung und einem Neubau beträgt pro Jahr rund drei Millionen Euro: Geld, das buchstäblich im Rauchfang verpufft und anbetracht der wieder bevorstehenden, sowohl Radio als auch Fernsehen betreffenden Sparmaßnahmen wohl intelligenter einzusetzen wäre.

Haus entkernen

Die absurde Idee, das Haus am Berg vollständig zu entkernen und nach modernen medienarchitektonischen Richtlinien völlig neu zu befüllen, dürfte aufgrund der zu erwartenden Investitionskosten von nicht unerheblichen 700 Millionen Euro ohnehin gestorben sein. Auch der Denkmalschutz könnte einer solchen Variante wohl kaum zustimmen, da diese - lediglich die Hülle erhaltende - Vorgangsweise dem Denkmalschutzgedanken krass widerspricht.

Noch ungeschützt

Apropos: Die bescheidmäßige Ausfertigung des Denkmalschutzes ist anderslautenden Meldungen entgegen derzeit noch nicht erfolgt. Und hinter vorgehaltener Hand fragt sich so mancher hoher Denkmalbeamter schon, ob Roland Rainers seinerzeit innovativer, mit dem rasenden Wandel der Medienwelt jedoch unbrauchbar gewordener Bau tatsächlich so schützenswert sei.

Eine weitere Absurdität wurde von übereifrigen Architekten und ORF-Mitarbeitern ausgeheckt: Man könne das Haus nach Originalplänen, jedoch mit zeitgemäßer Bauphysik ausgestattet, gleich neben den Bestand stellen und diesen nach der Neubesiedelung seines Klons abreißen. Das wäre dann buchstäblich komplett daneben.

Extrem weite Wege

Am "Berg", wie das ORF-Zentrum bezeichnenderweise betriebsintern genannt wird, würden viele lieber heute als morgen absiedeln. Denn für einen Umzug sprechen nicht nur die betriebswirtschaftlichen Zahlen, sondern auch die äußerst unpraktischen, aus der Zeit gefallenen Strukturen des Hauses: Extrem weite Wege, Organisationseinheiten, aufgesplittet auf mehrere Geschoße aufgesplittet in zahllosen Bürozellen - und eine derart abgeschiedene geographische Lage, die ORF-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gründlich vom Rest der Welt, über den sie berichten sollten, fern hält. Eine Pressekonferenz in der Innenstadt kommt einer Tagesexpedition gleich, Taxikosten inklusive.

Den Absiedlungswilligen gegenüber steht die Phalanx jener, die sich rund um die Burg am Berg angesiedelt und die Vorzüge des geschlossenen Systems samt Bank- und Supermarktfiliale bis hin zum hauseigenen Friseur gewohnheitsmäßig zu schätzen lernten. Von den rund 35.000 Quadratmetern ORF-Parkfläche ganz zu schweigen.

Alternativen

Eine Immobilien-Standortanalyse hat mehrere zentrumsnahe Alternativlagen für einen etwaigen Neubau für sinnvoll befunden. Eine davon wäre das eben in bauliche Entwicklung gegangene Gelände um den Südbahnhof. Doch die - inoffiziellen Informationen zufolge - derzeit sowohl von ORF als auch von der Stadt favorisierte Lage befindet sich in St. Marx.

Nach St. Marx

Dass die Stadtplanung einem Zugpferd wie dem ORF hier auf äußerst zuvorkommende, widmungsbeschleunigende Art sofort freundlich entgegentraben würde, versteht sich von selbst. Außerdem ist das anvisierte Areal am Rand der Südosttangente anderwertig schwer verwertbar, ein ohnehin schallgedämmter Studio-Riegel könnte gleichzeitig als Straßenlärm-Barriere wirken. Nähme man das Projekt sofort in Angriff, könnte die Übersiedlung in höchstens fünf Jahren erledigt sein.

Unternehmensarchitektur

Die Unternehmensarchitektur des ORF steht wie kaum anderswo für Reaktion einerseits oder für Innovation andererseits. Ein von einem Immobilienunternehmen maßgeschneidertes, vom ORF zurückgeleastes schlankes neues Gebäude wäre letztlich auch die einzige Chance, die Organisation grundlegend zu optimieren, was nicht zuletzt allerlei weiße Elephanten in die Realität der beinharten Marktwirtschaft befördern würde. Doch Teile der Stiftungsräte sowie des Betriebsrats sperren sich dagegen, und so wird die Frage des Neubaus zum Machtkampf um die Wiederwahl jedes ORF-Chefs. Wrabetz stellte 2006 für heuer eine Entscheidung in Aussicht, nach der gefloppten TV-Reform sah er im Mai "keine Entscheidungsnot" bis 2012 - nach der nächsten ORF-Wahl.

Derweil stellt man halt weiterhin Kübel auf im letzten Geschoß am Berg, damit das stellenweise eindringende Regenwasser die Akten und Analysen nicht benetze, und je länger das unselige politische Ringen hinter den Kulissen andauert, desto schlechter die Chancen auf eine grundlegende Sanierung des ORF. (Ute Woltron/DER STANDARD; Printausgabe, 18.7.2007)