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Die alkoholische Gärung zählt zum Alltag in den zahlreichen Brauereien in Belgien, die etwa 400 unterschiedliche Bierarten herstellen.

Foto: Reuters/Francois Lenoir
Das in diesen Hitzetagen beliebte Glas Bier oder Wein entstand mithilfe der alkoholischen Gärung. Ein chemischer Prozess, dessen Entdeckung unter Wissenschaftern des 19. Jahrhunderts eine heftige Polemik auslöste.

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In einigen Fällen der Wissenschaftsgeschichte kann man verstehen und entschuldigen, dass sich Wissenschafter wenig intelligent verhielten. Wie aber ist die Feindseligkeit der Wissenschaftsgemeinde zu rechtfertigen, die sie gegenüber einem der bedeutendsten Fortschritte der Biologie und Medizin zeigte: der Geburt der Bakteriologie im Jahr 1877? Der Grund dafür lag wohl darin, dass Wissenschafter genau wie Laien weiterhin glaubten, es könne keine mikroskopisch kleinen Lebewesen geben, zumindest aber könnten sie nicht die wahre Ursache von Krankheiten wie Schwindsucht, Cholera, Pest, Syphilis und Tuberkulose sein, die weit gewichtigere Wurzeln haben müssten. Die Ursachen dieser Krankheiten waren der Medizin damals unerklärlich. Sie galten als unheilbar.

Den ersten Angriff führten die Chemiker, die es für unmöglich hielten, dass Gärung und Fäulnis von Bakterien ausgelöste Prozesse sein könnten. Für sie handelte es sich rein um chemische Prozesse, und Bakterien könnten nichts damit zu tun haben. Am hartnäckigsten polemisierten die damals einflussreichsten Chemiker Justus Freiherr von Liebig (1803–1873) und Jakob Berzelius (1779–1848).

Der Botaniker Friedrich Traugott Kützing (1807–1893) scheint der Erste gewesen zu sein, der die Entdeckung des Gärungsprozesses machte. Er schrieb 1834 einen Artikel über dieses Thema, der aber von "Poggendorffs Annalen" abgelehnt wurde. Der Zweite war Cagniard-Latour, der seit 1835 von der Gärung als einem von lebenden Organismen aktivierten Prozess sprach. Der Dritte war Theodor Schwann, von dem 1837 ein Artikel in den "Annalen der Physik" erschien. Der vierte Entdecker war Eugène Turpin, der Cagniards Hypothese in einem Artikel, der 1838 in den "Annalen der Pharmazie" erschienen war, bestätigte.

Schwann hatte man als Deutschen schon gar nicht ernst genommen. Aber der Artikel von Eugène Turpin in der internationalen Zeitschrift, die von Justus Liebig zusammen mit Jean-Baptiste Dumas geleitet wurde, provozierte einen persönlichen Angriff durch Liebig.

Vulgäre Satire

Dumas hatte die Arbeit Turpins vorgeschlagen, folglich konnte Liebig deren Publikation nicht verhindern. Aber der große deutsche Chemiker wollte nicht zulassen, dass eine von ihm mitherausgegebene Zeitschrift eine Theorie unterstützte, die er für falsch hielt. Er veröffentlichte im Anschluss an Turpins Artikel einen Text mit dem Titel "Das enträthselte Geheimnis der geistigen Gährung", der die Theorie in einer groben, ja vulgären Satire lächerlich machte. Der Artikel war nicht unterzeichnet, geschrieben hatte ihn aber Liebig unter Mithilfe eines anderen Chemikers, Friedrich Wöhler. Die Autoren griffen Kützing, Cagniard und Schwann persönlich an und machten sich über die angebliche Rolle der Hefe bei der alkoholischen Gärung lustig.

Die Hefe ist eine Substanz aus Mikroorganismen. Die bekanntesten sind die Hefepilze. Deren Stoffwechsel produziert Enzyme, die Gärungsprozesse bewirken. Sie sind für die alkoholische Vergärung des Zuckers in Wein, Bier etc. verantwortlich. Liebig war überzeugt, die Hefe könne keine aktive Kraft sein, sondern sei ein Abfallprodukt der Gärung. Der diffamierende Artikel stellt die lächerliche Hypothese auf, "mit Wasser zerteilte Bierhefe löse sich in unendlich kleine Kügelchen auf; diese lassen sich, bringe man sie in Zuckerwasser, als Eier erkennen; sie schwellen an, platzen, und es entwickeln sich kleine Tiere, die sich mit einer unbegreiflichen Schnelligkeit auf die beispielloseste Weise vermehren. Sie besitzen die Gestalt einer Destillierblase, eine Art Saugrüssel; Zähne und Augen sind nicht zu bemerken; man kann übrigens einen Magen, Darmkanal, den Anus (als rosenrot gefärbten Punkt), die Organe der Urinsekretion deutlich unterscheiden. Von dem Augenblick an, wo sie dem Ei entsprungen sind, verschlucken sie den Zucker.

Augenblicklich wird er verdaut und diese Verdauung ist sogleich an der erfolgreichen Ausleerung von Exkrementen zu erkennen. Mit einem Wort, diese Infusorien fressen Zucker, entleeren aus dem Darmkanal Weingeist, und aus den Harnorganen Kohlensäure. Die Urinblase besitzt im gefüllten Zustand die Form einer Champagnerbouteille ..."

Karriereknick

Die Tatsache, dass der Artikel in einer international angesehenen Zeitschrift veröffentlicht wurde, erhöhte seine Wirkung. Er beeinflusste zwar weder die Karriere des Botanikers Kützing, der eine neue Epoche der Algenkunde begründete, noch die Laufbahn Cagniards, der Ingenieur war und später mit mechanischen Erfindungen berühmt wurde. Er ruinierte jedoch die Karriere von Schwann, der nicht den Lehrstuhl an der Universität von Bonn erhielt, auch an keiner preußischen Universität, sondern gezwungen war, auszuwandern, um an der Universität von Löwen in Belgien einen Anatomielehrstuhl anzunehmen.

Diese Episode, durch die Schwann die Feindseligkeit der Chemikergemeinde auf sich zog, deren Mehrheit sich dabei noch "unanständig und unter aller Kritik" verhalten hatte, stürzte diesen in eine schwere Krise. Er hörte auf, der produktive Wissenschafter zu sein, der er bis dahin gewesen war, und wandte sich dem Mystizismus zu.

Liebig, der im Laufe seines Lebens noch zahlreiche andere Polemiken anzettelte, auch Darwin zu einem Dilettanten abstempelte, konnte erst von Louis Pasteur gebändigt werden. Dieser – als eine Art Heiliger gerühmt, in Wirklichkeit ein ebenso streitsüchtiger Charakter – konnte in der Folge beweisen, dass Gärung durch Mikroorganismen verursacht wird, und mit der Hilfe von Robert Koch diesen radikalen Paradigmenwechsel einleiten, dass Bakterien die wahre Ursache von Infektionskrankheiten sind.

Warum so viel Starrköpfigkeit? Warum versuchen mächtige Wissenschafter auf jede Weise jene Wissenschafter zu bremsen, die daran arbeiten, neue Wege zu gehen? Der Schweizer Psychologe Jean Piaget meinte, es handelt sich hier um ein infantiles Sich-Sträuben: Ein anerkannter Wissenschafter, vielleicht sogar ein Nobelpreisträger, verhalte sich schließlich wie ein Kind von sechs Jahren. Er halte das, was er weiß, für derart sicher, dass er andere Ideen oder Erweiterungen alter Theorien nicht einmal mehr in Erwägung ziehe. (Peter Maria Schuster, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. Juli 2007)