Gletschertour im Ötztal.

Foto: Österreich Werbung / Wiesenhofer
341 Etappen auf fünf Routen bilden das Wegenetz der Via Alpina und stellen ein Umsetzungsprojekt der Alpenkonvention dar. Kernstück des gelben Weges von Oberstdorf nach Triest ist die Überquerung des Alpenhauptkamms im Bereich der Ötztaler Alpen. Dabei wird am Niederjoch, an der Grenze zwischen Österreich und Italien, mit 3019 Metern der höchste Punkt des Via-Alpina-Netzes erreicht.

Fünf gut aufgeteilte Tagesetappen führen vom Ausgangspunkt in Mittelberg im hintersten Pitztal über die Braunschweiger Hütte hinüber ins Ötztal, wo man entlang der Waldgrenze ins Ventertal wandert und auf fantastischen Höhenwegen das Bergsteigerdorf Vent erreicht. Von dort steigt man an steinzeitlichen Fundstellen vorbei zur Similaunhütte aufs Niederjoch hinauf, wo sich ein Abstecher zur Ötzi-Fundstelle allemal ausgeht.

Versunken und vorbei

Den Abschluss bildet der Abstieg ins Südtiroler Schnalstal, immer den Stausee von Vernagt vor Augen, in dem vor 50 Jahren die schönsten Höfe des Tales untergegangen sind. Gute Kondition und Trittsicherheit sind die Voraussetzungen für diese hochalpine Wanderung, bei der 3000 Höhenmeter hinauf und hinunter zu überwinden sind. Den Gletschern der Ötztaler Alpen ist man fünf Tage lang sehr nahe. Auch wenn sie schrumpfen, bedecken sie noch immer an die 140 km² und prägen eindrucksvoll das Landschaftsbild. Zu Gletschern gehören tosende Bäche und speziell an warmen Sommernachmittagen wird nachvollziehbar, wieso Energieunternehmen so begierig sind, diese Kräfte zur Stromerzeugung zu nutzen.

Nutzungskonflikte sind ein zentrales Thema auf dieser Wanderung. Nicht theoretisch abgehandelt, sondern konkret und sinnlich wahrnehmbar. Große Teile des Weges führen durch das 1981 geschaffene Ruhegebiet Ötztaler Alpen und seine umkämpften Randzonen. Schutzinteressen prallen scharf auf immer noch weiter gehende Erschließungswünsche der Tourismusindustrie mit ihren Gletscher-skigebieten und jenen der Stromwirtschaft, die weitere Bäche ableiten und zusätzliche Speicher füllen will. Nach dieser Wanderung weiß man Bescheid über die Dimensionen dieses Druckes.

Es bleiben viele faszinierende Wegabschnitte mit atemberaubenden Blicken auf vergletscherte Gipfel und tief eingeschnittene Täler. Es gibt noch genügend magische Plätze zu entdecken. Einer davon ist der Petznersee auf 2.612 m am Weg nach Vent. Der "See" in dem vom Gletscher geschaffenen Kessel ist seit Jahrzehnten verlandet und hat eine von mäandernden Bachläufen und bewachsenen Sandbänken geprägte Landschaft von großer Schönheit gebildet, die im kurzen Bergsommer einem steten Wandel unterworfen ist. Anfang Juli dominieren frisches Grün und mancher Schneerest, dann kommt die Zeit des Wollgrases, ehe die letzten Schafe und warme Rot- und Brauntöne schon wieder den Herbst ankündigen.

Alpinismus-Prediger

Und dann ist da natürlich noch Vent. Wo mit dem berühmten Pfarrer Franz Senn in den 1860er-Jahren der moderne Alpinismus seinen Ausgang nahm und wenig später die Gletscherforschung in den Ostalpen begonnen hat. Mit seiner Beharrlichkeit auf den Wander- und Bergsteigertourismus zu setzen, erinnern Vent und seine knapp 150 Bewohner an das legendäre Dorf in Gallien. Vent ist einer der wenigen Orte Tirols, der in den letzten Jahren die Zahl seiner Sommernächtigungen halten konnte. Selbstläufer ist das allerdings keiner, denn 900 Gästebetten sind zu füllen. Ein Projekt wie die Via-Alpina hilft dabei ebenso, wie die Arbeitsgemeinschaft Pro Vent, in der Einheimische mit den Alpenvereinen aus Deutschland und Österreich zusammenarbeiten. Der Ort Vent gehört auch zum OeAV-Tourismusprojekt "Bergsteigerdörfer" - seit dem Vorjahr kommen wichtige Impulse aus der Schutzgebietsbetreuung. (Hannes Schlosser/Der Standard/Printausgabe/14./15.7.2007)