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"So wenig glaubhaft es klingen mag, aber ich habe in der ganzen Simpsons-Zeit nie erlebt, dass irgendjemand vom Team Drogen genommen hätte. Unsere Mitarbeiter trinken noch nicht einmal Alkohol."

Foto: Reuters
Sie sind seit 20 Jahren Kult, denn in den Straßen von Springfield geht es nicht nur um Gags, sondern vor allem um die offenen Fragen der Menschheit. Am 26. Juli kommt die berühmteste Fernsehfamilie der Welt endlich auch ins Kino.

STANDARD: Glückwunsch zum Oscar! Ein bisschen waren Sie mit dem "Futurama"-Ausschnitt in Al Gores Dokumentation "Eine unbequeme Wahrheit" ja vertreten.

Matt Groening: Danke. Allerdings konnte ich nicht zur Verleihung und der großen Party danach gehen, weil wir damals total mit unserem Film beschäftigt waren.

STANDARD: Warum kommt gerade jetzt der Kinofilm?

Groening: Wir haben in den vergangenen 20 Jahren 400 Simpsons-Folgen für das Fernsehen gemacht – aus Anlass dieser runden Zahl haben wir beschlossen, die Simpsons endlich ins Kino zu bringen. Noch länger zu warten wäre nicht gut gewesen. Immerhin hatten wir schon 1993 die Idee für einen Kinofilm.

STANDARD: Warum haben Sie den Film nicht damals gemacht?

Groening: Wir hatten nicht genügend Leute, deswegen wurde das Projekt immer wieder verschoben. Im November 2003 fiel dann schließlich der Startschuss – und es hat vier lange Jahre gedauert, bis die Simpsons endlich auf die Leinwand kommen. Wir haben immer wieder neue Fassungen geschrieben, weil wir ein Produkt machen wollten, das dem Geist der TV-Serie gerecht wird.

STANDARD: In Zeiten perfektionistischer Computeranimation wirkt Ihr zweidimensionaler Zeichentrick auffallend altmodisch ...

Groening: Uns hat der Stil von zweidimensionaler Animation schon immer gut gefallen, inzwischen ist das leider fast ausgestorben. Die Simpsons waren die letzte Show, die vollkommen von Hand gezeichnet wurde. Bis heute werden die Figuren und die Hintergründe bei uns auf diese Art gezeichnet, lediglich die Farben werden später digital eingefügt. Inzwischen ist es schwierig geworden, Künstler zu finden, die auf diese Weise noch arbeiten. Aber mir gefällt diese Nichtperfektion, das ist wie Jazz.

STANDARD: Wann haben Sie selbst zum letzten Mal einen Bart Simpson gezeichnet?

Groening: Vor fünf Minuten habe ich einen Bart gemacht, für ein Autogramm (lacht). Aber ich bin kein Animationskünstler. Ich kann nicht gut genug zeichnen, man würde mich nie als Zeichner für die Show einstellen. Meine Aufgabe liegt in der Entwicklung und dem Design der Figuren.

STANDARD: Wann haben Sie den ersten Bart gezeichnet?

Groening: Der erste Bart entstand 1987, auf ein Blatt Schreibmaschinenpapier gekritzelt. Heute hängt dieser Ur-Bart eingerahmt an der Wand unseres Produktionsbüros.

STANDARD: Warum haben die "Simpsons" nur vier Finger?

Groening: Das ist eine alte Cartoon-Tradition und hat den einfachen Grund, dass fünf Finger schwieriger zu zeichnen sind als vier. Nur Gott hat fünf Finger in einem Cartoon.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Altersfreigabe für die Frechheit der "Simpsons"?

Groening: Wir sind froh, dass der Film in den USA ab 13 Jahren freigegeben ist, obwohl man einmal sogar den Penis von Bart sehen kann. Hätten wir diese Freigaben nicht bekommen, hätten wir einen schwarzen Balken darüber gemacht und darauf geschrieben: "Nur in Europa zu sehen".

STANDARD: War Ihre Familie verärgert, als Cartoonvorlage zu dienen?

Groening: Nein, meine Familie hat sich nie als Vorlage verstanden. Und das war sie auch nie. Sie sehen den Figuren nicht ähnlich, und sie sind auch nicht gelb. Die Frisur meiner Mutter sieht auf alten Bildern zwar etwas der von Marge ähnlich, aber sie hatte die Haare nie blau gefärbt. Mein Vater Homer, der vor zehn Jahren gestorben ist, mochte die Simpsons sehr und hat den Erfolg noch miterleben dürfen.

STANDARD: Es soll eine Muslim-Version der "Simpsons" geben, mit Badr und Omar, statt Bart und Homer. Wie funktioniert es, wenn der Held kein Bier mehr trinken darf?

Groening: Ich habe nur davon gehört und bin mir gar nicht sicher, ob es diese arabische Version überhaupt gibt. Ich lese so viel im Internet über die Simpsons und kann bei etlichen Dingen den Wahrheitsgehalt überhaupt nicht mehr abschätzen.

STANDARD: Wie groß ist Ihre Kontrolle im kreativen Bereich?

Groening: Ich habe natürlich schon einigen Einfluss, aber mein Job besteht nicht darin, "Nein" zu sagen, sondern vor allem darin, die Show am Laufen zu halten. Wir produzieren 24 Episoden pro Jahr, und eine Folge benötigt acht Monate in der Herstellung. Bei so viel parallelen Abläufen müssen Zeitpläne genau eingehalten werden. Ich muss das Team ständig motivieren. Ich würde zum Beispiel nie sagen "Das ist nicht komisch!", sondern immer "Können wir da keine andere Pointe finden?".

STANDARD: Woher nehmen Sie den schier endlosen Fluss origineller Ideen – helfen Sie bisweilen mit bewusstseinserweiterndem Doping nach?

Groening: So wenig glaubhaft es klingen mag, aber ich habe in der ganzen Simpsons-Zeit nie erlebt, dass irgendjemand vom Team Drogen genommen hätte. Unsere Mitarbeiter trinken noch nicht einmal Alkohol. Man stellt sich das vielleicht als ganz lustigen Job vor – aber tatsächlich ist es harte Arbeit.

STANDARD: Hatten Sie nie Probleme, dass diese Familie zu frech wird?

Groening: Als Homer einmal Marihuana probierte, war das durchaus eine heikle Szene. Deshalb haben wir peinlich darauf geachtet, dass der Joint nie seine Lippen berührt – wer genau hinschaut, wird das bemerken. Das Tourismus-Ministerium von Brasilien hat sich einmal sehr über eine Folge echauffiert, weil wir Affen in Rio gezeigt hatten, die es dort offenbar gar nicht gibt.

STANDARD: Bei den Deutschen, die das Kernkraftwerk übernehmen, haben Sie geografisch etwas gepatzt ... Groening: Weil sie sagen, dass sie aus dem Land der Schokolade stammen und Homer fortan davon träumt? Wir haben schon beim Schreiben des Gags bemerkt, dass wohl eher die Schweiz als Schokoladenland gilt und wir da einen Fehler gemacht hatten – aber wir brauchten diesen Dialog ganz einfach für diesen guten Gag.

STANDARD: Können Sie sich an alle 400 Episoden erinnern?

Groening: Nein, ich kann mir nur eine bestimmte Menge an Simpsons-Dingen merken, den Rest vergesse ich. Umso schöner ist es, wenn ich zufällig hier im deutschen Fernsehen eine alte Folge sehe und völlig überrascht bin, wie lustig das ist.

STANDARD: Wer sind Ihre künstlerische Einflüsse?

Groening: In meiner Jugend war ich sehr von Charles Schultz und seinen Peanuts beeindruckt.

STANDARD: Charles Schultz hat verfügt, dass die "Peanuts" nach seinem Tod nicht fortgeführt werden dürfen. Haben Sie ähnliche Pläne?

Groening: Mein Produzent Al Jean und ich haben uns letzte Nacht darüber unterhalten, dass wir auf Video festhalten sollten, was niemals mit den Simpsons passieren darf. Zum Beispiel, dass es nie eine Realversion davon geben darf.

STANDARD: Haben die "Simpsons" Einfluss auf Ihren Alltag?

Groening: Bisweilen ertappe ich mich, dass ich wie die Simpsons reagiere und rede. Wenn ich meine Schlüssel verliere, sage ich mit Sicherheit das "Do-h" von Homer.

STANDARD: Träumen Sie bisweilen von den "Simpsons"?

Groening: Ich habe Gott sei Dank nur einen einzigen Traum von den Simpsons gehabt – und da haben sie ausgerechnet den Nobelpreis bekommen. Ich war ebenfalls in diesem Traum und meinte nur: "Ein Cartoon kann doch keinen Nobelpreis bekommen." Dann hat man mich auf die Bühne geschubst und ich sollte eine Rede halten. Verzweifelt habe ich in diesem Traum nach einem Gag gesucht. Schließlich sagte ich: "Vielen Dank. Es ist schon lange her, seit "Schweinchen Dick" den Nobelpreis bekam." Kein sehr guter Witz – aber für einen Traum war er nicht schlecht. Darauf sagte mir James Brooks (Simpsons-Entwickler und Produzent, Anm.) hinter der Bühne: "Tu ganz einfach so, als ob du glücklich bist." Welch ein Trost.

STANDARD: Haben Sie je Hilfe bei professionellen Tröstern gesucht?

Groening: Ob ich bereits einmal in psychologischer Behandlung war? Natürlich, jeder in Los Angeles hatte schon seine Therapie! Für mich war das allerdings eher ein Experiment.

STANDARD: Sie haben ja die "Simpsons" als private Couch ...

Groening: Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken über dieses Thema, aber ich überlege mir schon, woher die Motivation für Humor kommt. Hat Freud recht, wenn er sagt, dass Komik und Bösartigkeit zusammenhängen? Für die meisten Gags stimmt das sicherlich. Aber wer vom Humor lebt, darf nicht zu viel darüber nachdenken, sonst verliert er seine Energie.

(Dieter Oßwald, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 14./15.07.2007)