Grafik: www.aec.at
Revolutionäre Biotechnologien und ihre Vermarktung: Die Soziologin Joanne Finkelstein, bald Gast der "Ars Electronica", fragt im Gespräch mit Doris Krumpl , wer vom Geschäft mit der Zukunft tatsächlich profitiert. Linz/Wien - Eine heiße Internetadresse ist dieser Tage www.aec.at/nextsex . Hier wird im Vorfeld der Ars Electronica (2.-7.9.) das heurige Thema "Sex im Zeitalter seiner reproduktionstechnischen Überflüssigkeit" diskutiert - mit Blick auf die Biotechnologien. Eine Teilnehmerin des Symposions ist Joanne Finkelstein: Populärkultur und Konsumtrends wie Mode oder "auswärts Dinieren" geht die in Sydney lehrende Soziologin in Büchern wie After a Fashion oder Slaves of Chic nach. In ihrem neuesten Buch, The Fashioned Self, untersucht sie, wie Formen eigener Identität sich durch die Veränderung des körperlichen Erscheinens wandeln - vor dem Hintergrund von Moden, Facelifts und Diätprogrammen. STANDARD: Sie beschäftigen sich mit materiellen Besitztümern und Sehnsüchten und stellen dazu die Verbindung von Konstruktionen des Selbst her. Werden diese Dinge in Zukunft im menschlichen Körper verschmelzen - sozusagen der Mensch als Interface? Werden wir uns je nach Mode im Gen-Shop mit neuesten Dingen wie Hauttypen eindecken? Finkelstein : Oder so, wie es die Künstlerin Orlan macht, die ihr Gesicht nach ihren Vorstellungen ummodelt? Das wird aus rein finanziellen Gründen nicht möglich sein. Es gibt zuweilen einen fast frivolen, trivialen Zugang zu den Möglichkeiten der Gentechnik, die auf derartige Zukunftsmanipulationen hinläuft. Aber die Geschichte zeigt, dass es keine neue Idee ist, die Zukunft programmieren zu wollen: Monarchien und Aristokraten etwa haben oft durch eigenmächtige Kontrolle ihrer Nachfahren ihr Fortleben gesichert. STANDARD: Es sind also Designer-Babys zu erwarten? Finkelstein : Hier ist keine Feinabstimmung möglich, höchstens simple Attribute. Man kann keine "nette Persönlichkeit" vorplanen. STANDARD: Ist der gegenwärtige Biotech-Hype übertrieben? Finkelstein : Die Medien fungieren als Fund-Raiser dafür. Indem sie das Thema populär und attraktiv machen, rechtfertigen und legitimieren sie Milliarden von Dollars, die etwa für das Human Genome Project ausgegeben wurden. STANDARD: Wie empfinden Sie die Tatsache, dass diese Wissenschaft - und auch das Business - in der Hand weniger Staaten bzw. Personen ist? Finkelstein : Besorgniserregend. Aber Politik spielte immer schon eine enorme Rolle bei diesen Entwicklungen. STANDARD: Glauben Sie, dass die Biotechnologien den Weg zu einer Zukunft ebnen, wo Ungerechtigkeiten wie Krankheiten oder "hässlicheres Aussehen" eliminiert werden? Oder droht verstärkt eine Zweiklassengesellschaft? Finkelstein : Sie fragen, wie wir die beste Gesellschaft machen! Diese Aspekte mit dem Hang zur Trivialisierung wie z. B. neu modellierte Nasen sind für die Dritte Welt überhaupt nicht relevant. Aber es ist eine Form von industriellem Kapitalismus. Und es gibt immer den Unterschied zwischen Erfindungen der Wissenschaft und den Leuten, die etwas damit anstellen. STANDARD: Wo bleibt die Kunst dabei? Finkelstein : Jetzt ist vielleicht die interessanteste Zeit für Künstler überhaupt, weil die Werkzeuge so unglaublich geworden sind. Das sieht man zum Teil auch in der Werbeszene. Der Künstlerbegriff geht weit über das Bildhauern und Modellieren hinaus. Dazu kommt, dass die Menschen heute viel schneller Bilder lesen und die kleinsten Symbole und Signale interpretieren können. STANDARD: Die Gefahr besteht nur, dass viele die Möglichkeiten eines neuen Werkzeugs für ihre eigene Kreativität halten. Finkelstein : Dasselbe passierte ja auch beim "Word Processor". Eine Explosion von Gedrucktem folgte, und viele Leute haben Bücher geschrieben, die nie hätten Bücher schreiben sollen. Dank der Technologie. Aber je mehr schreiben, desto mehr Gute sind auch darunter. STANDARD: Wie sehen Sie die Entwicklungen vor dem Hintergrund des "Next Sex"? Finkelstein : Meine Gegenfrage lautet: Was passierte mit dem "Last Sex"? Was sind die sozialen Funktionen von Sex, der im Laufe der Zeit auch eine Art Technologie wurde? Eine wichtige Frage des Symposions wird lauten: Welches technologische Setting beeinflusst den Umgang der Menschen mit Sex? Der maschinelle Aspekt steht da zum Beispiel gegen den romantischen. STANDARD: Ein Moderator des Symposions schwärmt von Orgien im Cyberspace. Finkelstein : Die Menschheit hatte immer schon Sex-Toys, und diese neuen Formen sind moderne Varianten davon. STANDARD: Sie meinen: Alles ist schon einmal dagewesen. Finkelstein : Wenn alle dauernd schwärmen, dass alles neu sein wird, impliziert das eine instabile Lage. Die wichtige Frage dabei lautet: Wer profitiert von dieser Haltung, wer wird propagiert in diesem Verlangen nach neuen Definitionen? Oft passiert es, dass beim Verstärken dieser Unsicherheit die Kluft zwischen Mächtigen und Machtlosen größer wird. Ich finde das immer sehr verdächtig. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 14./15.8. 2000)