Frank Castorfs fulminanter „Norden“ nach Céline – nun auch in Avignon.

Foto: Thomas Aurin
Mit Erinnerungen und Neuerungen, mit Frank Castorf und Jeanne Moreau.
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Avignon – Die Trompeten, die das Theaterfestival von Avignon jeden Abend eröffnen, erklingen nun bis zum 27. Juli wieder im imposanten Hof des Papstpalastes, wie das seit 60 Jahren üblich ist. Das 1947 vom Dichter René Char mit dem Theatermann Jean Vilar gegründete Festival, wo Jeanne Moreau unter Vilar ihre Karriere begann, war anfangs nur den großen Dramatikern gewidmet. Es erweiterte sein programmatisches Spektrum in den 1980er-Jahren auf zeitgenössischen Tanz und Musik und beglückte seine Besucher in den 1980/90er-Jahren mit Theater-Höhenflügen. Peter Brook mit seinem Mahabbharata , Ariane Mnouchkine mit den Shakespeare-Dramen, Patrice Chéreau mit Hamlet sowie die kafkaesken Kreationen von Taddäus Kantor schrieben Theatergeschichte.

Die jetzigen Direktoren Hortense Archambault und Vincent Baudriller bieten zum 60. Geburtstag einen Mix aus Reminiszenzen und Neuem sowie Einladungen an europäische Künstler der Generation der 35- bis 40-Jährigen. Als "assoziierten Künstler" luden sie den diskreten französischen Regisseur Frédéric Fisbach ein, der eher im Sozial- und Therapietheaterbereich erfolgreich ist als auf der Bühne.

Gleich zu Festivalbeginn gastierte Frank Castorf mit seiner Céline-Aufbereitung Norden, (die zuletzt bei den Wiener Festwochen zu sehen war), in einem Avignoner Gymnasiumshof. Gleichzeitig ließ der Dichter und Regisseur Valère Novarina seine post-dadaistischen Sprachlabyrinthe, von zwölf Schauspielern interpretiert, im Papstpalast erklingen. Frédéric Fisbach bezieht (im wahrsten Wortsinn) vier Tage lang mit Schauspielern und Laiendarstellern den Hof des Papstpalastes, wo sie – als ’68er-Revival – kochen, essen, schlafen, duschen und WC-Häuschen benützen. Abends interpretieren sie, anlässlich des 100. Geburtstags von René Char, dessen Text Feuillets d’Hypnos.

Ariane Mnouchkine kommt mit ihrem bereits in Paris gezeigten Acht-Stunden-Stück Les Ephemères, Sasha Waltz mit insideout, Rodrigo Garcia mit Cruda. Blau. Blutend und Krysztof Warlikowski mit seiner Version von Tony Kushners Angels of America I & II.

Ein erster Festival-Höhepunkt war die Lektüre von Heiner Müllers Quartett , die die 79-jährige Jeanne Moreau und Sami Frey im Hof des Papstpalastes darboten. Man hat Müllers Text kaum jemals so brutal-erotisch und sprachgewaltig gehört wie in Avignon 2007. (Olga Grimm-Weissert, DER STANDARD/Printausgabe, 11.07.2007)