Kulla neben dem alten Markt in Gjakovë/Dacovica.

Foto: Kurt Gritsch

"Thank you USA!"

Foto: Kurt Gritsch

Auf der Fahrt vom Flughafen in die 500.000 Einwohner zählende Hauptstadt Prishtinë/Pristina begegnen uns für das ganze Land typische Bilder: Baustellen, unverputzte Außenmauern bewohnter Häuser und Müll neben der Straße, an Flüssen oder in Wiesen, der ab und zu offen verbrannt wird.

Prishtinë/Pristina wirkt sehr westlich und erinnert durch seine in sozialistischer Zeit errichteten Wohnblöcke an bestimmte Stadtviertel Roms oder Neapels. Man sieht, abgesehen von alten serbischen Straßenhändlerinnen, kaum ein Kopftuch, und für eine Stadt mit hauptsächlich muslimischen Einwohnern finden sich wenige Moscheen. Die größte hat gerade die Ausmaße einer christlichen Dorfkirche. Toleranz sei in Kosova/Kosovo unter den Religionsgemeinschaften, zu denen neben Islam (u.a. Sufismus – eine liberale Spielart des Islam) Orthodoxie und Katholizismus gehören, sehr wichtig, versichert uns unser Reiseleiter Nexhat Maloku. Auch wenn es vereinzelt Islamisten gebe – junge Leute, die in Arabien studierten –, so gelte doch: „Die Religion des Albaners ist, dass er Albaner ist.“

Die Kehrseite dieses Satzes erkennen wir am zweiten Tag unserer Reise auf der Hochebene Drenica in Perkaz. Dort steht das inzwischen zum Museum umfunktionierte Haus des UCK-Gründers Adem Jashari, das im März 1998 von serbischen Einheiten mit Artillerie beschossen wurde, wobei die Großfamilie ums Leben kam. Inzwischen ist um Jashari selbst ein Mythos entstanden, der ihm einen Platz neben den albanischen Nationalhelden Skanderbeg und Abdyl Frashëri, einem der Gründer der Liga von Prizren, eingebracht hat. So weiß eine Souvenir-Verkäuferin am Rande der Stadt Gjilan/Gnjilane zwar nicht, dass Mutter Teresa in Skopje geborenen wurde und ihre Familie aus Prizren stammte, doch sie zeigt beim Thema »wichtige Albaner« demonstrativ auf das Bild des UCK-Gründers und sagt zu mir: „He’s very important for us.“

Nach dem Essen in einem Fischlokal in Istog/Istok (die durchschnittlichen Restaurantpreise liegen bei fünf bis zehn € für ein Menü und einen bis drei € für Getränke) fahren wir an einer geplünderten serbisch-orthodoxen Kirche vorbei in Richtung Montenegro zum wunderschönen Wasserfall der Quellen des weißen Drin in der Nähe der Stadt Peja/Pec mit 85.000 Einwohner die ihr Trinkwasser von dort bezieht.

Prizren
Foto: Kurt Gritsch

Wie schlecht die Situation im UN-Protektorat Kosova/Kosovo ist, erfahren wir bei unserem Besuch im Bildungsministerium. Die Arbeitslosigkeit wird auf 50 Prozent geschätzt, das Durchschnittseinkommen rund 200 € und die Lebenskosten für eine vierköpfige Familie liegen bei knapp 400 €. Die Mindestrente beläuft sich auf 40 bis 50 € und ohne Zuschüsse von im Ausland lebenden Verwandten könnten viele Familien kaum überleben. Das Gesamtbudget des Landes umfasst gerade mal 700 Mio. €. 50 Prozent der Menschen leben in Armut, 15 Prozent sogar in extremer Armut.

Neben dem Erbe Jugoslawiens, hoher Kriminalität und Korruption erfahren wir bei unserem Besuch in einer der größten Weinkellereien Europas in Rahavec/Orahovac von einem weiteren Grund hierfür: Die vormals im Besitz der Arbeiter und der Provinz gewesene Kellerei wurde 2006 mitsamt den dazugehörenden 2.200 Hektar Land privatisiert und für ca. 5,5 Mio. € an einen reichen US-Albaner verkauft. Die Arbeiter erhalten aufgrund eines Milosevic-Gesetzes, auf das sich die UNO bei Privatisierungen beruft, nur 20 Prozent des Verkaufspreises. Der Rest geht an private Investoren und einen UN-Fond, teilt man uns mit.

Hammam in Prizren
Foto: Kurt Gritsch

Am 25. April fahren wir auf dem Weg nach Prizren unter anderem am Dorf Brezovica vorbei, das einen serbischen Bürgermeister und einen albanischen Vize hat. Nachdem wir in der 100.000 Einwohnerstadt Prizren den berühmten Hammam, das türkische Bad, besichtigt haben, begeben wir uns zum 1999 von serbischen Paramilitärs zerstörten und nach Kriegsende wieder errichteten Museum der Liga von Prizren, einer 1878 gegründeten nationalistischen albanischen Bewegung.

Auf dem Weg dorthin fällt unser Blick auf ein serbisches Viertel, das im März 2004 unter den Augen der deutschen KFOR gebrandschatzt wurde. Dass man damals nicht eingegriffen hat bezeichnet der Oberkommandierende der Schweizer KFOR-Einheit Swisscoy, die der Bundeswehr unterstellt ist, in Suhareka/Suva Reka bei unserem Besuch als richtige Entscheidung, da man Verluste in den eigenen Reihen befürchtete.

Am 26. April bestaunen wir in Gjakovë/Dacovica neben dem alten Markt eine Kulla, das traditionelle, wehrhafte Steinhaus mit Mauer einer albanischen Großfamilie und wir besuchen einen Derwischorden. Im Krieg wurden in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt die meisten Albaner getötet oder verschleppt, da sie als das politisch-intellektuelle Zentrum galt.

Mitglied der Italienischen KFOR-Einheit mit serbischem Mönch
Foto: Kurt Gritsch

Nachmittags geht es zum weltberühmten serbischen Kloster Visoki Dečani. Obwohl von italienischer KFOR bewacht, gab es im März 2007 den 23. Granateneinschlag seit Juni 1999. Ein seit 1994 dort lebender 33-jähriger, der Tradition entsprechend schwarz gekleideter Mönch mit langen Haaren und langem Bart, erklärt uns denn auch, was neben der landwirtschaftlichen Arbeit, dem Verleih von Maschinen an Einheimische – Christen wie Muslime –, der sakralen Malerei und den spirituellen Tätigkeiten die Hauptaufgabe der 26 Mönche ist: "Our first duty is to survive."

Das weltberühmte serbische Kloster Visoki Deèani
Foto: Kurt Gritsch

Derzeit berät der Sicherheitsrat über die Zukunft des Landes. Von den Albanern, knapp 90 Prozent der Bevölkerung, hoffen die allermeisten auf Unabhängigkeit und erwarten sich dadurch auch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Letzteres ist zu bezweifeln. Die Kosovo-Serben, von denen nach Kriegsende mehr als die Hälfte das Land verlassen haben, sind so oder so die Verlierer: Kommt die Unabhängigkeit nicht, geraten sie wahrscheinlich erneut ins Visier radikaler Albaner, denn vor allem die ehemalige UCK lehnt eine begrenzte Unabhängigkeit ab. Neue Spannungen sind zu befürchten, die Extremisten warten nur noch die Entscheidung der UNO ab. Wie sagte doch der Schweizer Militär in Suhareka/Suva Reka am vorletzten Tag unserer Reise lakonisch: „Die Situation ist ruhig, aber nicht stabil.“ (Kurt Gritsch)