Schuld am Siechtum vieler Bauernfamilien ist eine hübsche Pflanze namens Osterluzei.

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Washington - Es ist ein wahrhaft schleichendes Siechtum: Die Opfer spüren viele Jahre nichts, bis es zu spät ist. Irgendetwas Unbekanntes greift ihre Nieren an und lässt diese versagen. Ein wirksames Gegenmittel gibt es nicht, nur Dialyse kann das Leben der Patienten verlängern. Aber damit ist deren Leidensweg oft noch nicht beendet, denn etwa die Hälfte von ihnen bekommt zusätzlich Krebsgeschwüre im Nierenbecken oder Harnleiter.

Die Symptome sind durchaus typisch und ermöglichen eine klare Abgrenzung zu anderen Nierenkrankheiten. Noch charakteristischer ist die Verbreitung der Seuche. Sie trifft ausschließlich Bauernfamilien, die in bestimmten Balkanregionen leben.

Erstmalig beschrieben wurde die gespenstische Krankheit 1956 in Bulgarien. Heutzutage ist sie in der medizinischen Fachwelt als Balkan- Endemische Nephropathie - kurz BEN - bekannt. Jahrzehntelang zerbrachen sich Forscher den Kopf über die möglichen Ursachen. Man hatte Viren in Verdacht und Giftstoffe aus Schimmelpilzen, Trinkwasser-Toxine und einen Mangel an Spurenelementen, doch nichts konnte bisher das merkwürdige Verbreitungsmuster von BEN erklären.

Auf manchen Siedlungen schien ein regelrechter Fluch zu ruhen. Dort leiden die Menschen seit Generationen unter der Krankheit, während sie im Nachbardorf wenige Kilometer entfernt gar nicht auftritt. Präzise Opferzahlen liegen nicht vor, Schätzungen gehen von rund 100.000 potenziell Gefährdeten aus.

Die Bedrohung könnte allerdings bald gebannt sein, denn inzwischen gelang es einem Team aus US-amerikanischen und kroatischen Wissenschaftern, den Auslöser von BEN dingfest zu machen. Es ist eine Pflanze. Ihr Name lautet Osterluzei, botanisch Aristolochia clematitis. Das hübsche Gewächs mit den gelben Blüten gedeiht nur auf nährstoffreichen Lehm- oder Tonböden in warmen Klimalagen. Den Alten Griechen und Römern galt sie als Heilpflanze. Heute weiß man um ihre Giftigkeit.

Des Rätsels Lösung

Den entscheidenden Verdacht schöpfte der US-Pharmakologe Arthur Grollman, als er die BEN-Symptome mit anderen außergewöhnlichen Nierenkrankheiten verglich. Dabei stieß er auf einen interessanten Fall: Belgische Frauen hatten für eine Schlankheitskur Präparate aus "chinesischen Heilkräutern" eingenommen und sich so mit einer Aristolochia-Art vergiftet. Ihr Krankheitsbild war praktisch identisch mit BEN.

Als toxische Substanz kam nur die berüchtigte Aristolochiasäure infrage - "eine der gefährlichsten krebserregenden Substanzen überhaupt", so Grollman gegenüber dem Standard. Die Säure reagiert mit der menschlichen DNA und löst so Mutationen und Zellschäden aus. Grollman und Mediziner der Uni Zagreb gingen der Sache auf den Grund und schauten sich in einer von BEN betroffene Region in Ostkroatien um. "Einige Weizenfelder dort sind voll mit Aristolochia", berichtet der Forscher.

Viele der ortsansässigen Menschen leben noch als Selbstversorger. Sie backen ihr eigenes Brot aus selbst angebautem Getreide und nehmen so auch Osterluzei-Samen zu sich. Mit auf Dauer verheerenden Folgen.

Wie die Wissenschafter bei Untersuchungen des Nierengewebes von BEN-Patienten feststellten, enthielten die Nierenzellen deutlich nachweisbare Mengen an Aristolochiasäure-Derivaten, wie die Experten in der Fachzeitschrift PNAS schreiben. Dasselbe galt für Tumorzellen.

Für die Zukunft möchte das Forschungsteam die Bevölkerung und die Behörden auf die Gefahr durch Osterluzei hinweisen und weitere offene Fragen klären. Denn es erkrankt nicht jeder, der regelmäßig Aristolochia-kontaminiertes Brot isst, an BEN? "Wahrscheinlich gibt es zusätzlich eine genetische Veranlagung", meint Grollman dazu. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 7. 2007)