Die literarische Sensation dieses Sommers steht den Londonern erst in zwölf Tagen ins Haus: Dann kommt der siebte und vorerst letzte Band von Harry Potters Abenteuern auf den Markt. Politik-Junkies aber hatten schon gestern ihren großen Tag: Tony Blairs langjähriger Regierungssprecher Alastair Campbell veröffentlichte auf 794 Seiten Auszüge aus seinen Tagebüchern. Von den Memoiren des 50-jährigen Vertrauten Blairs erwarten sich die Leser vor allem pikante Details aus seiner Zeit an der Seite des eben erst zurückgetretenen Premiers.

Campbell demonstrierte mit seinem Buch drastisch, worüber er sich seit Jahren gern beklagt: die Beschleunigung der Zeitgeschichtsschreibung im Zeitalter einer globalisierten, 24 Stunden am Tag präsenten Medienkultur. Aber schließlich wäre es doch "eine Verschwendung" gewesen, sagte Campbell der BBC, mit der Veröffentlichung seines Buches zu warten, "bis die Leute nicht mehr über uns nachdenken". Einer will das aber auch jetzt ganz bestimmt nicht tun: Der britische Premierminister Gordon Brown teilte am Wochenende mit, er werde Campbells Werk nicht lesen: "Die Vergangenheit ist die Vergangenheit."

Zu dieser Vergangenheit gehört auch die berühmte Einschätzung des damaligen Schatzkanzlers Brown als "psychologisch defekt". Dass das ursprünglich anonyme _Zitat von Campbell stammte, steht längst fest. Aber war der Hüne aus der nordenglischen Grafschaft Yorkshire, der auch als Regierungssprecher gerne Klartext redete, auch der Urheber? Oder stammte das Zitat gar vom damaligen Premierminister Blair selbst?

Über dieses spannende Detail gibt das Buch ebenso wenig Auskunft wie generell über die permanenten Streitigkeiten zwischen Blair und Brown, welche die ersten zehn Jahre der Labour-Regierung prägten. Seinen Ruf als Prototyp des berühmt-berüchtigten Spindoktors verteidigt Campbell jedenfalls auch im Nachhinein: Die insgesamt mehr als 2,5 Millionen Wörter sind nicht nur auf rund 350.000 reduziert, sondern auch zensiert.

Einerseits geht dies auf das Konto des Kabinettsbüros, bei dem frühere Minister und Spitzenbeamte um Erlaubnis fragen müssen, ehe sie aus dem Nähkästchen plaudern. Weil dies zuletzt immer häufiger passierte, sind die einschlägigen Vorschriften erst unlängst verschärft worden. Andererseits griff Campbell – der 2003 wegen des Vorwurfs, er habe das Irak-Dossier zugunsten der Kriegsbefürworter manipuliert, abtreten musste – selbst zur Schere, schließlich wollte er "der konservativen Opposition keine Munition gegen den neuen Premierminister" liefern.

"Kabinett zweifelte"

Munition liefert er hingegen jenen in seiner Partei, die sich angesichts des nicht enden wollenden Debakels im Irak von der ursprünglichen Entscheidung zum Krieg distanzieren wollen. Im Kabinett und in Blairs engem Umkreis habe es im Vorfeld des Feldzugs im März 2003 niemanden gegeben, der nicht "ziemlich schwere Zweifel" gehabt hätte. Nur einer sei vom Irak-Krieg – zumindest nach außen hin – wirklich überzeugt gewesen: Blair selbst. "Wenn er Zweifel hatte, dann hat er sie sogar vor uns verborgen", schreibt Campbell, der zehn Jahre als Medienberater Blairs tätig war, lakonisch.

Loyale Gefolgsleute Blairs wie Vizepremier John Prescott oder der frühere Innenminister John Reid hätten in der Sitzung vor dem Krieg jedenfalls "richtig krank" ausgesehen. Reid soll Sätze gesagt haben, die sich heute als bemerkenswert korrekte Weissagung lesen: Man werde "daran gemessen werden, wie der Irak nach Saddam Hussein aussieht". Am Ende aber stimmte das Kabinett der Beteiligung an dem Krieg zu, der Tony Blairs Amtszeit dauerhaft überschatten sollte. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 10.7.2007)