Zur Person
Rennsportprofi Heinz Kinigadner hat 2004 nach den tragischen Folgen des Unfalls seines Sohnes bei einem Wohltätigkeitsrennen, die Stiftung 'Wings for Life' gegründet.

Ihre Hauptfunktion besteht in der Unterstützung und Förderung innovativer und hochqualitativer Spitzenforschung mit dem Ziel die Regeneration des verletzten Rückenmarks zu fördern. Hierbei werden sowohl klinisch-angewandte als grundlagenorientierte, evaluierte Forschungsvorhaben unterstützt.

Foto: Wings for Life

So sieht das 'Neck Brace' aus

Foto: Wings for Life

Cyril Despres bei der Paris Dakar 2007

Foto: Wings for Life

An der zumindest teilweisen Heilung von Rückenmarksverletzungen wird gerade geforscht. Damit es erst gar nicht zur Querschnittlähmung kommt, sind neue Protektoren, gerade im Motorsport nötig. "Es herrscht noch Aufholbedarf", ist Heinz Kinigadner überzeugt, daher hat er sich der Entwicklung neuer Möglichkeiten verschrieben. Gemeinsam mit Dietrich Mateschitz hat er die private Stiftung 'Wings for Life' gegründet, die zur Forschung beitragen soll. Ein neuer 'Helm für das Genick' soll dem Profi- und auch dem Hobbysport einen Teil des Risikos nehmen.

derStandard.at: Was hat Ihnen als Motorradsportler den Anstoß gegeben eine Privatstiftung zur Erforschung von Querschnittlähmungen zu gründen?

Kinigadner: Das liegt auf der Hand: vor knapp vier Jahren ist der Unfall meines Sohnes Hannes passiert. Er hat sich bei einem Motocrossrennen, das kurioserweise auch noch ein Charityrennen für ein Behindertenheim gewesen ist, das Rückenmark verletzt. Er hat sich den fünften Halswirbel gebrochen und war sofort querschnittgelähmt. In den folgenden Wochen haben wir einige Forschungsprojekte gecheckt. Es gibt viele viel versprechende Tierversuche und Laborversuche, das Problem ist nur das fehlende Geld und das fehlende Interesse der Industrie, viele Forscher wollen aus dem Labor auch nicht heraus. Die Forschung auf den Menschen zu übertragen, das ist es, was wir mit unserer Stiftung fördern wollen. Wir wollen die Flaschenhälse in der Forschung aufweiten.

derStandard.at: Motorradfahrer gelten als besondere Risikogruppe für Rückenmarkverletzungen. Welche Möglichkeiten gibt es für die Prävention?

Kinigadner: Wir wurden auch bei KTM mit Unfällen gebeutelt, hauptsächlich bei der Paris-Dakar, aber auch bei unseren anderen Einsätzen. Ich habe Anfang der 1990er mit dem Ralleyfahren begonnen, was gegenüber Motocross ja High-Speedfahren ist – oft jenseits der 150 Kilometer pro Stunde im unasphaltierten Gelände. Das ist natürlich sehr gefährlich. Ungefähr seit dieser Zeit beschäftige ich mich mit Nackenprotektoren. Der Helm ist ein großer Schutz für den Kopf, aber der Rumpf und der Nacken sind relativ ungeschützt bei den Motorradfahrern.

derStandard.at: Wie funktionieren diese Nackenprotektoren zur Prävention?

Kinigadner: In Zusammenarbeit mit BMW und KTM haben wir das so genannte 'Leatt Brace' oder auch 'Neck Brace' aus Südafrika entdeckt, weiterentwickelt und mit unseren Fahrern ausgetestet. Ich glaube es wird in der Motorradwelt einiges bewegen. Genau so wichtig wie der Helm für den Kopf, ist dieses Teil für den Nacken. Wer weiß, vielleicht sind wir in ein paar Jahren soweit, dass das genau so Pflicht ist wie der Helm. Ich würde das auch sinnvoll finden, nachdem ich gesehen habe, was passieren kann.

derStandard.at: Gibt es auch Bedarf bei anderen Sportarten?

Kinigadner: Inzwischen interessieren sich auch Reit- Mountainbike- oder Downhillclubs und Snowboarder dafür. Diese Sportarten werden ja sehr viel von jungen Leuten ausgeübt. Da wäre auch Bedarf da, gerade bei den Mountainbikern. Bergab ist die Chance, dass man einen Salto nach vorne macht sehr groß und dass man auf dem Kopf landet.

derStandard.at: Gab es denn bisher keine vergleichbaren Präventionsmöglichkeiten?

Kinigadner: Es gibt zwar schon längere Zeit mehrere dieser Protektoren, die meist aus Schaumgummi sind oder aus Hartschaum – das sind Wülste, die man um den Hals hat. Sie schützen vor der Überstreckung der Kopfes nach hinten fast genauso gut wie das 'Neck Brace'. Bei Tests haben wir aber herausgefunden, dass einige davon eher gefährlich sind, weil sie bei einem Sturz wie ein Hebel wirken können und so das Genick brechen.

derStandard.at: Wie funktioniert das 'Neck Brace' genau?

Kinigadner: Der 'Helm für die Halswirbelsäule' besteht aus Kohlefaser, Titan und Kevlar, dem Material aus dem auch kugelsichere Westen sind, und füllt die Sicherheitslücke, die bis dato zwischen Helm und Schultern klaffte. Dieser Protektor verhindert die häufigste Ursache von Verletzungen bei Helmträgern, die so genannte Hyperflexion. Darunter versteht man die Überbeugung des Kinns auf das Brustbein beim Vorwärtsfallen und die Beschleunigung des Körpers über einen unbewegten Kopf. Auch der Hyperextension der Halswirbelsäule, der Überstreckung des Kopfes nach hinten, wird vorgebeugt ohne jedoch die Bewegungsfreiheit einzuschränken.

So kann eine Knochenabsplitterung aus den Wirbelkörpern, die eine Hauptursache für Verletzungen der angrenzenden Halswirbelsäule darstellt, weitgehend vermieden werden. Der 'First Impact' Schutz ist mit diesem Nackenprotektor in jedem Fall gegeben.

derStandard.at: Weiß man, ob durch das Tragen dieses Schutzes bereits schlimmere Verletzungen verhindert werden konnten?

Kinigadner: Bei der heurigen Rallye Dakar war bereits jeder dritte Motorradfahrer freiwillig mit einem derartigen Schutz unterwegs und selbst einige Autofahrer gingen nur geschützt ins Rennen. Der zweifache Rallye Dakar Sieger Cyril Despres hat schon vor der Ralley Dakar beim Testen in Tunesien einen schweren Unfall gehabt – ihm ist der Helm zerbrochen. Am nächsten Tag hat er nicht einmal eine Verspannung im Nacken gespürt. Er fährt seither nur mehr mit dem Schutz. Man kann aber natürlich im Nachhinein auch schwer sagen, ob ohne 'Neck Brace' etwas passiert wäre oder nicht.

Ein anderer Fahrer, der bei einem Rennen in Spanien im März schwer gestürzt ist, ist seitdem ab der Brust abwärts querschnittgelähmt, obwohl er einen Nackenschutz hatte. Das Teil schützt die Halswirbelsäule, es kann daher sein, dass durch den Druck stattdessen die Brustwirbelsäule beschädigt wurde. So tragisch das ist, ist es aber noch immer besser als eine beschädigte Halswirbelsäule, weil Oberkörper und Arme ihre Funktion behalten.

derStandard.at: Wo gibt es im Sport noch Aufholbedarf bei der Prävention?

Kinigadner: Wir befinden uns bei der Prävention noch im Anfangsstadium, es gibt vor allem bei den Helmen noch großen Verbesserungsbedarf. Die Form der Offroadhelme, die ein langes Kinnteil haben, ist zum Beispiel total unsinnig, weil sie als Hebel wirken und so Wirbelsäulenverletzungen hervorrufen kann. Außerdem müssten die Helme eigentlich halb so schwer sein. Mit Materialien wie Carbon kann man Gewicht reduzieren, was das Verletzungsrisiko reduziert.

Auch der Nackenbereich müsste mehr geschützt werden. Wenn man sich die Skifahrerhelme anschaut, die gehen alle viel weiter nach oben, so kann der Helm bei einem Sturz nicht gleich in die Halswirbelsäule drücken. Man könnte sich auch noch etwas vom menschlichen Körper abschauen: Der Kopf ist so gebaut, dass die ganze Frontpartie eigentlich Knautschzone ist, wie Jochbein oder Kiefer. Da könnte man sich etwas für Helme überlegen, zum Beispiel ein bewegliches Mundteil.

derStandard.at: Wie könnte man die Chance geringer halten, dass so schwere Unfälle im Hobbysport nicht passieren?

Kinigadner: Man kann schwer etwas dagegen tun, weil es meist Verkehrs- und Freizeitunfälle sind: in der Zeit als mein Sohn im Krankenhaus war, habe ich junge Menschen erlebt, die aufgrund von Motorradunfällen und Sprüngen ins zu wenig tiefe Wasser querschnittgelähmt wurden. Meist sind es Burschen unter 20 Jahren. Im Winter gab es dann viele Skifahrer und Snowboarder, die betroffen waren. Aber man muss die Jugend trotzdem leben lassen.

derStandard.at: Sie haben die Zeit nach dem Unfall mit ihrem Sohn durchlebt, was war das Schwierigste?

Kinigadner: In der ersten Phase nach dem Unfall wird man beatmet, man kämpft rein ums Überleben. Am schwierigsten sind die ersten Monate und Jahre. Zum nicht mehr Gehen und Bewegen können kommt noch dazu, dass man die täglichen Bedürfnisse nicht mehr kontrollieren kann, die Gefahr, dass man ins zu heiße Wasser langt oder sich wundsitzt, was dann wieder monatelange Krankenhausaufenthalte nach sich zieht.

derStandard.at: Wie würden Sie als Vater eines querschnittgelähmten Sohnes anderen Mut machen?

Kinigadner: Das ist nicht so schwierig, ich glaube felsenfest, dass mein Sohn nicht sein ganzes Leben im Rollstuhl sitzen wird. Man darf nie die Hoffnung aufgeben, man muss zwar lernen damit im Alltag umzugehen, aber ich glaube man darf sich nicht damit abfinden. (derStandard.at, Marietta Türk, 9.7.2007)