Was den sizilianischen Staatsanwalt empört, ist ein Dokument des Obersten Richterrats in Rom. In dem einstimmig verabschiedeten Papier beschuldigt der Richterrat den Geheimdienst Sismi, 203 Richter in Italien und zwölf weiteren europäischen Ländern bespitzelt und entsprechende Dossiers angelegt zu haben. Zwischen 2001 und 2006 habe der militärische Abschirmdienst die betroffenen Richter regelrecht beschattet, ihre Computer kontrolliert und ihnen gezielte Fehlinformationen zugespielt.
Zu den 47 italienischen Opfern gehören all jene Mailänder Staatsanwälte, die Verfahren gegen Ex-Premier Silvio Berlusconi eröffneten und vom Geheimdienst als „regierungsfeindlich“ eingestuft wurden. Auf der Liste stehen auch jene zwei Staatsanwälte, die einen Prozess gegen jenes CIA-Kommando führen, dem die Verschleppung des ägyptischen Predigers Abu Omar vorgeworfen wird. Wer – wie Staatsanwalt Antonio Ingroia – über die Querverbindungen zwischen Mafia und Politik ermittelte, galt bereits als verdächtig. Häufig genügte die Zugehörigkeit zu „Magistratura democratica“, der progressiven Strömung im Richterbund. Im Ausland wurden vor allem Richter bespitzelt, die den „Magistrats Européens pour la Démocratie et les Libertés“ (Medel) angehören.
Illegale Zentrale
Zu den Spitzelopfern gehörte auch der langjährige Vorsitzende der Richtervereinigung, Edmondo Bruti Liberati, dessen Kontakte zu französischen und belgischen Kollegen überwacht wurden. Der wegen der Abu-Omar-Affäre entlassene frühere Sismi-Chef Nicolò Pollari bestritt die Vorwürfe. Die in einer illegalen Abhörzentrale entdeckten Dossiers habe ein Sismi-Mitarbeiter auf eigene Faust und ohne Weisung angelegt. Die Regierung verwies am Donnerstag darauf, dass sich die Affäre auf frühere Jahre beziehe und die Führung des Geheimdienstes ausgetauscht worden sei.