"Ein Missverständnis"
"Ich glaube, dass das ein Missverständnis war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass europäische Führungskräfte damit einverstanden waren, dass im EU-Rat die Möglichkeit der Anwendung eines zwei Jahre langen Vetos entsteht. Das wäre vollkommen inakzeptabel. So etwas gab es in der Geschichte der Gemeinschaft noch nie", erklärte Pöttering.
Die für Polen äußerst vorteilhafte bisherige Stimmgewichtung im EU-Ministerrat soll im Jahr 2014 durch das System der doppelten Mehrheit aus Staaten und Bevölkerung ersetzt werden, doch wurde Polen das Recht eingeräumt, noch bis zum Jahr 2017 bei Abstimmungen eine Stimmenzählung nach dem alten Modus zu fordern, bei dem Polen mit 27 Stimmen nur zwei weniger hat als das doppelt so große Deutschland. Nach 2017 sollte nach polnischer Ansicht noch zwei Jahre der (eigentlich vor der Erweiterung der Zwölfergemeinschaft um Österreich, Schweden und Finnland im Jahr 1994 wegen einer Forderung Großbritanniens, das sich gegen Überstimmung schützen wollte, beschlossene) Ioannina-Kompromiss zur Geltung kommen. Damit könnte Polen in Fragen von besonderer nationaler Bedeutung einen Beschluss im Ministerrat verhindern, selbst wenn die eigentliche Sperrminorität verfehlt wird.
Keine Kapitel mehr öffnen
Pöttering vertritt die Auffassung, dass sich mit einem Veto keine positive Entscheidung treffen lässt. Seiner Meinung nach soll der Ioannina-Mechanismus so bleiben, wie es im Entwurf der Vertrages niedergeschrieben wurde. "Beschlussverzögerungen von 'vernünftigem Zeitausmaß', wie es geschrieben steht, bedeutet eine Verzögerung von einigen Monaten und nicht von zwei Jahren", betonte Pöttering. Er sprach sich gegen die Forderungen der polnischen Regierung aus, die in Verhandlungen auf der kommenden Regierungskonferenz die Details des Ioannina-Kompromisses präzisieren möchte. "Wir widersetzen uns der Öffnung von Kapiteln, die bereits (in Brüssel) vereinbart wurden, weil alle ihre Versprechungen halten müssen", sagte Pöttering gegenüber der Zeitung.
Doch kein Veto
Nach dem EU-Gipfel hat der Premier Jaroslaw Kaczynski den Ioannina-Kompromiss als einen großen Erfolg Polens gepriesen. Die polnische Delegation dachte, dass mit jenem Mechanismus Polen nach 2017 zwei Jahre lang alle für das Land ungünstigen EU-Beschlüsse aufschieben könnte. Kurz nach dem Gipfel hatte sich herausgestellt, dass in dem von EU-Regierungschefs unterzeichneten Mandat keine Rede von einer Möglichkeit eines zwei Jahre langen Vetos war. Jaroslaw Kaczynski behauptete daraufhin, dass der polnische Präsident, sein Bruder Lech Kaczynski, welcher auch die Verhandlungen in Brüssel leitete, mit den EU-Partnern in dieser Frage ein Gentlemen-Agreement geschlossen hatte.