Mädchen und Frauen, die sich selbst als Musliminnen definieren, verwenden diverse Taktiken, um sich im öffentlichen Raum als sozialer Gemeinschaft von Individuen einen Platz zu erobern. Sie wollen nicht mehr mit der Rede von der "anderen Kultur" oder "der Religion" abgespeist werden, sondern fordern ihre Rechte auf Bildung und Arbeit ein. Von Kerstin Kellermann.
Junge MuslimInnen drängen an die Öffentlichkeit und fordern selbstbewusst ihren Platz in der Gesellschaft ein. Sie sind großteils in Österreich geboren und verstehen sich nicht als MigrantInnen. Doch: Going public makes trouble... Einen riesigen Generationenkonflikt und starke Änderungen für diese so genannte dritte Generation sieht die belgische Wissenschafterin Nadia Fadil in ihrem Aufsatz "The Making of an Islamic Political Subject" in dem Buch "Politics of Visibility. Young Muslims in European Public Spaces". "Etikettierungen wie 'Europäische Muslime' oder 'Ethnisierung des Islam' zeigen einen Wechsel an. Das Label 'Islam' wird zu einer neuen Identitätsform der Beteiligung an der öffentlichen Meinung in Europa. Auf der einen Seite gibt es eine Differenzierung und Distanzierung von ethnischer Identität, die junge MuslimInnen dazu befähigt, sich in Westeuropa zu positionieren, auf der anderen Seite kann diese Praxis auch als defensive Identifizierung mit dem Islam verstanden werden, als Reaktion auf die negativen Stereotypen über Muslime und den Islam." Hinzu komme noch, ganz wichtig, die hohe Arbeitslosigkeit und die schwache, sozioökonomische Integration.
"Ihr kriegt keine Rechte"
Die französische Herausgeberin des Buches, Valerie Amiraux, stellt die gewagte These auf, dass die jungen MuslimInnen in dem Moment, in dem sie nun selbstbewusst ihre BürgerInnenrechte und Raum in der Öffentlichkeit, und auch feste Plätze beim Bilden von öffentlichen Meinungen einfordern, bildlich gesprochen, "auf die Birne" kriegen, "aufs Haupt", "aufs Kopftuch" sozusagen. Alle Ansprüche der zweiten bzw. dritten Generation, die über eine gute Bildung verfügt und sicher auch die Universität besuchen will, auf adäquate Arbeits- und Lebensmöglichkeiten würden mit dem Hinweis "Religion" oder "Kultur" abgeschmettert. Zäh verteidigen die "Eingeborenen" ihre eigenen Ansprüche und Bevorzugungen in Bezug auf Arbeit und Bildung.
Der öffentliche Raum ist nicht neutral, sondern Produkt einer spezifischen Geschichte. Die nicht nur mit Kolonisation und Arbeitsmigration zu tun hat. "Europäische Staaten können nicht mehr länger MuslimInnen als BürgerInnen ansehen, ohne ihnen auch den öffentlichen Raum zu öffnen", schreibt Valerie Amiraux. Die unterschiedlichen Strategien der Generationen zur Erlangung desselben seien ein "work in progress". Die Debatte könne nicht mehr länger als Migrations-Thema behandelt werden, denn es ginge um demokratische Einbindung und die Politik der BürgerInnenschaft. Allein Gewalt-Opfer werden eventuell integriert. Die gerne publizierten Leidensberichte der jungen Frauen aus den Ghettos, den so genannten Parallel-Gesellschaften, würden die wahren Konflikte in einer hierarchischen und ausschließenden Gesellschaft, die aber Partizipation behaupte, auf die Mitleidsebene reduzieren.
Bedrohung der weiblichen Emanzipation?
Dass sich muslimische Gemeinschaften gerne separieren würden, wird angenommen, dabei werden in Wirklichkeit gesellschaftliche Trennungen verordnet und die Kommunikation abgebrochen. Warum konnten sonst plötzlich – "nach 15 Jahren der Fluktuation zwischen Schweigen und öffentlichem Drama" in Bezug auf die Integration – in Frankreich ein paar Hundert Mädchen, die Kopftuch in der Schule tragen wollten, zu einer Bedrohung der Demokratie und Meinungsfreiheit bzw. des säkulären Prinzips an sich oder sogar der weiblichen Emanzipation werden?