Nach einigen letalen Schusswechseln geht es Richtung Himmel: Emir Kusturicas "Zeit der Zigeuner" als Musiktheaterproduktion in Paris.

Foto: Pariser Oper
Die beglückte Besucherreaktion am Abend der Uraufführung von Emir Kusturicas Zeit der Zigeuner in der Bastille- Oper gibt Gerard Mortier Recht. Der Pariser Staatsoperndirektor bietet unter dem Motto "Grenzgebiete" Produktionen an, die nicht in übliche Opernrahmen passen. Kusturicas Umarbeitung seines Films auf den, wie er sagt, "abstrakten Raum der Opernbühne" basiert auf 14 Songs, die in der Sprache der Roma gesungen 14 Szenen ergeben. Zwei Orchester, The No Smoking Orchestra und The Garbage Serbian Philharmonia, und alle Sänger sind mit Mikrofonen ausgestattet. Vom Plott und von der Bühnenform her ist Die Zeit der Zigeuner ein Punkmusical mit eingestreuten Filmsequenzen. Kusturica meint, dass heute die Punkmusik das sei, was früher die Oper war. Also volksnah, zum Mitsingen und Mitklatschen?

Mitgerissen von der systematischen Claque-Initiative von Henri Paul (derzeit Frankreich-Botschafter in Rumänien), reagierte das Publikum begeistert – ab dem ersten "Auftritt": Ein Gänserudel watschelte auf der Bühne. Tiere auf den Brettern, die für viele Menschen die Welt bedeuten, bekommen ja oft Beifall. Hier handelte es sich auch um den Wiedererkennungseffekt des pseudo-trauten Dorflebens von Kusturica, in dem die Dächer der klapprigen Häuser wie Riesenvögel am Himmel schweben, Zwerge und Jongleure Zirkusatmosphäre verbreiten und kleine Buben mit Fußbällen kicken. Wohl die einzige Methode, um anständig aus dem Dorfleben heraus berühmt und reich zu werden. Reich und mächtig zu werden ist auch der Traum des Buben Perhan (Stevan Andjelkovic), den seine Großmutter mit seiner im Rollstuhl sitzenden Schwester erzieht. Perhan ist in die hübsche Azra (Milica Todorovic) verliebt, die er jedoch im Dorf lässt, um mit seiner Schwester einem "Businessman" nach Mailand zu folgen. Der Junge wird zum Einbrecher ausgebildet, die Schwester zwangsprostituiert. Währenddessen verführt ein böser Onkel Azra.

Ins Dorf heimgekehrt, heiratet Perhan die inzwischen schwangere Azra, die behauptet, das Kind sei seines. Während der Hochzeit erschießt Perhan den bösen Onkel und den kriminellen Businessman, der ihn jedoch ebenfalls tötet. Die bei der Geburt sterbende Azra schwebt wie die Heilige Jungfrau gen Himmel, und am Schluss erheben sich die zwölf Hauptpersonen singend in Richtung Schnürboden.

Die für Kusturica so wichtige Emotion, die er in den frühen Filmen vermittelte, kommt in den kurzen, von Zirkus- bis Volksfestmusik angeheizten Szenen nicht auf. Die Sänger agieren nahezu parodistisch, wenn sie bis zur Atemlosigkeit tanzen. Kusturica lässt verlauten, dass er etwas filmmüde ist und dieser Triumph der Beginn einer neuen Karriere sein könnte ... (Grimm-Weissert, DER STANDARD/Printausgabe, 30.06/01.07.2007)