Steigende und fallende Wasserstände, Sumpfgebiete und ausgedehnte Wiesen: Lebensraum für in den 70er zugewanderte Arten und Heimat für schützenswerte Spezies wie den Wachtelkönig.

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Der Wachtelkönig rangiert auf der Liste der Natura-2000-Schutzrichtlinien im oberen Bereich. Im Rheindelta bremste seine Existenz Straßenbaupläne ein.

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Natura-2000-Richtlinien werden streng eingehalten - auch zugunsten des unscheinbaren Wachtelkönigs.

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Seit einigen Jahren ist es wieder da und färbt das Mehrerauer Bodenseeufer blau: das Bodenseevergissmeinnicht.

Dem See, der seinem Namen Pate stand, ist es schon seit der letzten Eiszeit treu. Es ist auf seinen schwankenden Wasserstand angewiesen und blüht nach dem Winter, wenn der See am wenigsten Wasser führt. Im Sommer, wenn er am meisten hat, wird die Blume ertränkt. "Die Verbreitung des Bodenseevergissmeinnichts seewärts war deswegen so stark, weil wir in den vergangenen drei Jahren extreme Niederwasserstände hatten", sagt Markus Grabher, Leiter des Umweltbüros in Hard bei Bregenz. Heuer dürften es mehr als 100.000 Blumen sein, denn noch immer sind die Gegebenheiten ideal: Der nährstoffarme Kiesboden ist zu lange nass, als dass sich Landpflanzen ansiedeln und zu lange trocken, als dass sich Wasserpflanzen ausbreiten könnten. Doch wenn die Situation länger so bleibt, wie sie ist, wird auch die Konkurrenz in Form von Schilf, Augehölzen und Sauergräsern nicht lange auf sich warten lassen.

Grabher ist aber davon überzeugt, dass der Bodensee wieder Normalwasserstände haben wird, obschon er im letzten Jahrhundert im Durchschnitt 20 Zentimeter an Höhe abgenommen hat. Für den niedrigen Wasserstand könnten fehlende Niederschläge, Erosionserscheinungen bei Konstanz oder Speicherkraftwerke, die Wasser zurückhalten, verantwortlich sein.

Auf dem Weg ins Rheindelta, das zwischen Neuem und Altem Rhein liegt und das ungefähr vier Kilometer vom Mehrerauer Naturschutzgebiet entfernt liegt, hört man noch die Lachmöwen über dem Bodensee kreischen.

Der Rhein, als "größter Wildbach Europas", bringt im Jahr zwei bis drei Millionen Kubikmeter Sand und Kies, was bewirkt, dass der Bodensee im Schnitt zwei Hektar im Jahr kleiner wird. "Die Fußacher Bucht war einmal 50 Meter tief. Jetzt ist die tiefste Stelle acht Meter", sagt der studierte Botaniker. Dämme haben verhindert, dass sie nicht völlig verlandet ist.

Sie ist jedoch nicht nur wegen ihrer Schönheit ein beliebter Rastplatz für Vögel, beispielsweise für Enten, von denen sich im Herbst rund 30.000 einfinden. Es ist die Dame aus dem Kaukasus, die wandernde Dreikantmuschel, die es dem Geflügel angetan hat. In den 1970er-Jahren hat die Muschel alle festen Gegenstände zentimeterdick überzogen, Rohre verstopft und sich an die Unterseite von Booten geheftet. Heute haben die Vögel das Gleichgewicht wiederhergestellt. Jedoch lässt eine andere Muschel, die aus Asien stammende Körbchenmuschel, die sich zurzeit in sandigen Bereichen massenhaft vermehrt und erstmals im Jahr 2003 aufgetaucht ist, den Biologen im Ungewissen. "Die Frage ist, ob sie von den Vögeln gefressen werden kann." Unbestritten ist jedoch das gespannte Verhältnis zwischen den Fischern und den Kormoranen, deren Brutbäume umgeschnitten wurden. Einen "nicht ausgestandenen Konflikt" gibt es deswegen auch zwischen Vogelschützern und Fischern.

Dort am Bodensee, wo sich die Satelliten-Siedlungen der Camper befinden, verbreiten sich durch die günstigen klimatischen Bedingungen nicht nur heimisch gewordene Arten. Es sind Insekten wie die aus mediterranen Gebieten stammende Wespenspinne, die auch seit den 1970er-Jahren in Vorarlberg lebt und die von den heißen Sommern profitiert. Im Wasser selbst sind es Exoten wie das Indische Springkraut oder die Craspedacusta, die Süßwasserqualle, die die Wärme im flachen Nass mögen.

Doch nicht nur Wasser ist im Rheindelta als Lebensraum attraktiv. Auch in Wiesen, den ungedüngten und gedüngten, gedeiht so manches, dessentwegen manchmal auch Brüssel einschreitet: 30 Jahre lang haben Schweizer und Vorarlberger Behörden davon geredet, die S18 zu errichten, die Bodenseeschnellstraße zur Verbindung der Straßennetze beider Länder. Sogar in Straßenkarten war sie schon eingezeichnet. Dass sie letztendlich doch nicht gebaut wurde, hat der Wachtelkönig entschieden - "eine unscheinbare Art, die noch dazu hässlich ruft", beschreibt ihn Grabher und lacht.

Als schützenswerte Art in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 hat der Wachtelkönig den Politikern einen Strich durch die Rechnung gemacht. "Wenn es wirklich ein gutes Projekt gewesen wäre, dann hatten sie nicht 30 Jahre darüber geredet, sondern es umgesetzt", gibt sich Max Albrecht, Gesamtkoordiantor für den Natura-2000-Umsetzungsprozess in der Umweltschutzabteilung der Vorarlberger Landesregierung, ungerührt.

Die Straße hätte das gemeldete Natura-2000-Gebiet Lauteracher Ried gefährden können. Doch was die Umweltschutzbestimmungen der EU betrifft, gibt es kein Entkommen: "Da fährt der Zug drüber", sagt Albrecht.

Das den Grundbesitzern und Bewirtschaftern klar zu machen sei das Schwierigste, erzählt der Sachverständige. Man könne nicht davon ausgehen, dass die Leute "Hurra!" schreien, wenn sie ihren Besitz den Umweltschutzkriterien anpassen sollen. Doch wenn die Dinge klar dargelegt würden, akzeptieren sie es auch. Entschädigungsmaßnahmen sorgen dafür, dass ein Landwirt, der Natura-2000-Gebiete sein Eigen nennt, nicht schlechter gestellt ist als Landwirte ohne Beschränkungen. Vom Schutz eines Lebensraumes profitieren denn auch andere, nicht sehr gefährdete Arten, erklärt Grabher. (Marijana Miljkovic/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26. 6. 2007)