Paul De Grauwe, Euro-Experte und zweimaliger EZB-Kandidat, hält die Maastricht-Kriterien für "irrelevant".

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STANDARD: Anfang 2008 gibt es mit Malta und Zypern zwei weitere Zugänge zur Eurozone. Wie ist der Zustand der gemeinsamen Währung?

De Grauwe: Sie wird von der Europäischen Zentralbank recht gut gemanagt. Die Inflation ist niedrig, die Konjunktur geht wieder bergauf. Eine ernsthafte Gefahr aber sind die unterschiedlichen Entwicklungen in der Eurozone.

STANDARD: Wo liegt denn das Problem?

De Grauwe: Im Unterschied bei der Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland und Österreich haben stark zugelegt, Italien, Spanien und Griechenland haben sich verschlechtert. Das schafft langfristige Probleme. Früher hätte ein Land wie Italien abgewertet, aber das geht nicht mehr. Jetzt muss es den schweren Weg gehen.

STANDARD: Und der wäre?

De Grauwe: Italien muss durch eine lange Phase der Deflation durch, damit die Produktionskosten sinken und die Wettbewerbsfähigkeit wieder steigt. Das ist schmerzhaft und schadet der Wirtschaft.

STANDARD: In Deutschland hat das auch funktioniert.

De Grauwe: Ja, aber es hat zehn Jahre gedauert. In dieser Zeit wurden die Reallöhne kaum erhöht. Die Deutschen haben das Diktat der Arbeitgeber akzeptiert, die Italiener nicht. Wenn das jedoch der einzige Mechanismus bleibt, um Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen, dann hat die Eurozone ein großes Problem.

STANDARD: Was wäre die Alternative?

De Grauwe: Die Währungsunion ist unvollendet. Die Euroländer haben zwar die Geldpolitik zentralisiert, aber die Kontrolle über alle anderen Wirtschaftsinstrumente behalten. Das ist etwa der große Unterschied zu anderen Währungssystemen wie den USA.

STANDARD: Was müsste denn noch zentralisiert werden?

De Grauwe: Vor allem die Budgetpolitik. Ein großes EU-Budget würde den Transfer von Geldern an Länder in einer Konjunkturkrise ermöglichen.

STANDARD: Die meisten Staaten wollen nicht noch viele Kompetenzen an Brüssel abgeben.

De Grauwe: Grundsätzlich gilt: Eine Währungsunion kann ohne politische Union nicht funktionieren. Wenn Europa nicht an einer politischen Union arbeitet, dann ist der Euro gefährdet. Er wird nicht verschwinden, aber manche Staaten werden aussteigen. Man muss den Leuten klar sagen: Wenn ihr keine politische Union wollt, dann könnt ihr den Euro langfristig vergessen.

STANDARD: Auch die Politik der EZB wird oft kritisiert. Zu Recht?

De Grauwe: Zwischen 2000 und 2003 wäre eine aggressivere Zinssenkungspolitik wohl angebracht gewesen. Aber auch das hätte keinen großen Unterschied gemacht.

STANDARD: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verlangt auch jetzt mehr Mitsprache in der Geldpolitik.

De Grauwe: Das muss er aus innenpolitischen Gründen tun. In keinem anderen Land ist die EZB so sehr der Sündenbock.

STANDARD: Wie schnell sollen die anderen neuen EU-Staaten dem Euro beitreten?

De Grauwe: Sie müssen sehen, wie rasch sie die Maastricht-Kriterien erfüllen, dabei sind die Kriterien ökonomisch irrelevant. Sie sagen nichts darüber aus, ob ein Land für den Euro reif ist oder nicht.

STANDARD: Wovon sollte diese Entscheidung denn abhängen?

De Grauwe: Für die Kleinen wie die Balten-Staaten oder Slowenien ist es vernünftig, rasch den Euro zu übernehmen. Sie können keine sinnvolle autonome Geldpolitik betreiben. Polen aber hat diese Möglichkeit und sollte sich daher Zeit lassen. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.6.2007)