Ja klar, wer - außer den engherzigsten Neidhammeln gegen "die da unten" - ist denn nicht für ein Existenzminimum auf kulturell angemessenem Niveau? Wer würde Menschen, auch in selbst verschuldeter Not, "Illegale", ja selbst Kriminelle obdachlos verhungern, erfrieren oder ohne Medizin verbluten lassen? Oder Arme ohne jedes Einkommen? Doch "deserving poor", unverschuldete, anspruchslose und arbeitswillige Mindesteinkommensempfänger sind natürlich beliebter als forsche Forderungen nach bedingungslosem Grundeinkommen.

Denn außer den wenigen (oft selbst Ärmeren), die niemandem irgendeine öffentliche Hilfe gönnen, unterscheiden wir besser gestellten und daher oft leichter mitfühlbereiten Bürger uns vor allem im Ausmaß der erwarteten Verpflichtungen, Bedingungen und Großzügigkeit dieser Mindesteinkommen - im Glaubenskrieg zwischen "bedarfsgeprüfter Mindestsicherung" und "bedingungslosem Grundeinkommen".

Nun hat just einer der erfolgreichsten Kapitalisten sich die "urkommunistische" Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen mit libertären Menschenwürde-Argumenten angeeignet und mit der liberalen Idee einer Ersetzung aller Einkommens- und Ertragssteuern durch Konsumsteuern kombiniert. (Bekanntlich galt in der Sowjetverfassung das gegenteilige Recht auf Arbeit als Arbeitspflicht: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen".)

Götz W. Werner, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der "dm"-Drogeriemärkte - 1720 Filialen in neun Ländern, 26.000 Mitarbeiter, 3,67 Milliarden Umsatz - hat ein sympathisch-kluges Büchlein "Einkommen für alle" geschrieben, für "eine Idee, deren Zeit gekommen ist".

Doch wahr ist: die Idee kommt seit Jahrzehnten nicht vom Fleck; und der Untertitel verheißt "Der dm-Chef über die Machbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens". Genau das schafft er nicht.

Statt dieser nobelpreiswürdigen Leistung, wenn sie gelänge, hat er ein weiteres Plädoyer für die Wünschbarkeit einer schönen Utopie geschrieben. Doch das hatten wir schon, entweder in unserer Jugend selbst geträumt oder bis zum Überdruss von hochherzigen, aber wirtschaftsfremden Kollegen gehört. Endlich hätte statt erhebender Ansprüche ein wirklicher "Macher" die Machbarkeit erwiesen! Doch da ist kein "hardnosed business man", der mittels "business plan" den "business case" für das bedingungslose Grundeinkommen macht, was bei seinen Geschäftserfolgen niemand als bloße "Träumerei" wegwischen könnte. Stattdessen wieder ein Hohelied auf "eine Art Fixstern am Horizont" und Mutzuspruch für zupackende Politikunternehmer: "Denn wenn man etwas will, dann findet man Wege. Und wenn man etwas nicht will, dann findet man Gründe." Wie wahr, doch wo sind Karten, Kompass, Wege, Abwege und Fallgruben?

Denn wenn nicht ein Werner (oder Haselsteiner oder andere erfolgreiche sozialliberale Unternehmer vom LIF oder von den Grünen), wer sonst sollte uns das arbeitslose Grundeinkommen nicht nochmals als noble Leitidee, sondern als handfestes politisches Projekt vorstellen? Wer sonst die Unterschiede zwischen einer faszinierenden Geschäftsidee und einem brauchbaren Geschäftsmodell bzw. zwischen gutem Geschäftsmodell und ertragreiche Geschäft, zwischen einer schönen Utopie und einem ökonomisch durchgerechneten politischen Projekt klar machen können?

Also wieder eine verpasste Chance, diesmal eine große. (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 25.6.2007)