Bild nicht mehr verfügbar.

"Es ist wahr: Der Satz von der Pflichterfüllung hat viele in unserem Land betroffen gemacht. Vor allem wenn man bedenkt, wem diese Pflichterfüllung geschuldet wurde. Aber gleichzeitig müssen wir eingestehen, wie wenig Respekt wir die längste Zeit gerade jenen erwiesen haben, die sich dieser Pflichterfüllung entzogen haben oder zu entziehen versuchten."

Foto: APA
Rede von Bundespräsident Heinz Fischer anlässlich der Trauerfeier für Altbundespräsident Kurt Waldheim im Stephansdom:

"Hochgeschätzte Trauergemeinde!

Wir nehmen heute Abschied von Altbundespräsident Dr. Kurt Waldheim.

Wir tun dies im eindrucksvollen Rahmen dieses geschichtsträchtigen Domes und wir haben versucht, alle Wünsche zu berücksichtigen, die der Verstorbene in seinem letzten Willen geäußert hat.

Mein respektvoller Gruß gilt der Gattin des Verstorbenen, Frau Mag. Elisabeth Waldheim, seinen Kindern und seiner ganzen Familie.

Ich danke allen, die an dieser Trauerfeier teilnehmen und damit ihre Verbundenheit mit dem Verstorbenen und seiner Familie zum Ausdruck bringen.

Verehrte Trauergemeinde!

Dr. Kurt Waldheim hat für Österreich als Diplomat, als Außenminister und als vom Volk gewählter Bundespräsident gearbeitet und sein Bestes gegeben.

Er hat sich um die Lösung der Südtirolfrage verdient gemacht und wesentlich dazu beigetragen, dass wir auf Wien als dritten UNO-Sitz stolz sein können. Und er hat den Vereinten Nationen durch 10 Jahre hindurch in weltpolitisch schwierigsten Zeiten mit vollem Einsatz als Generalsekretär gedient.

Ich bin dem verstorbenen Altbundespräsidenten darüber hinaus für viele gute Gespräche seit meiner Wahl zu seinem Nach-, Nachfolger dankbar.

Ich glaube verstanden zu haben, was ihn in den letzten Jahren seines Lebens bewegte und kann bezeugen, wie sehr er sich immer wieder mit den Fragen auseinandersetzte, die Anlass für heftige Kontroversen im In- und Ausland, für Zustimmung und Kritik rund um seine Person waren.

Kurt Waldheim hat es verdient, dass man sein Lebenswerk in seiner Gesamtheit würdigt und dass man außer Streit stellt, was nicht bestritten werden kann.

Daher bleibe ich auch heute - und gerade heute - bei der Feststellung, die ich schon vor 15 Jahren, im Juli 1992 als Präsident des Nationalrates in der Bundesversammlung aus Anlass der Verabschiedung von Kurt Waldheim aus der Funktion des Bundespräsidenten gemacht habe.

Nämlich der Feststellung, dass dem Menschen und dem Bundespräsidenten Kurt Waldheim Unrecht geschehen ist, wenn ihm Handlungen, bis hin zu Kriegsverbrechen angelastet wurden, die er nicht begangen hat.

Verehrte Trauergemeinde!

Wenn ich mich bemühe, mir über die tiefsten Wurzeln der Auseinandersetzungen um den Verstorbenen Klarheit zu verschaffen, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass die Heftigkeit der Auseinandersetzungen über Kurt Waldheim nicht nur aus der Heftigkeit eines Präsidentschaftswahlkampfes erklärbar ist, sondern vor allem auch mit einem Paradigmenwechsel im Umgang mit unserer jüngeren Geschichte zusammenhängt.

Kurt Waldheim wurde zu einer Projektionsfläche für schlechtes Gewissen im Zusammenhang mit unserem Umgang mit der NS-Zeit und mit Versäumnissen in der Nachkriegsgeschichte. Vielleicht auch zu einer Projektionsfläche für manche unbeantwortet gebliebene Frage von Kindern und Enkelkindern der Kriegsgeneration an ihre Väter und Großväter.

Es ist wahr: Der Satz von der Pflichterfüllung hat viele in unserem Land betroffen gemacht. Vor allem wenn man bedenkt, wem diese Pflichterfüllung geschuldet wurde.

Aber gleichzeitig müssen wir eingestehen, wie wenig Respekt wir die längste Zeit gerade jenen erwiesen haben, die sich dieser Pflichterfüllung entzogen haben oder zu entziehen versuchten.

Muss uns z.B. die Tatsache, dass die Witwe von Franz Jägerstätter nach 1945 in Österreich zunächst nicht einmal eine Witwenpension nach dem Opferfürsorgegesetz erhielt, obwohl oder gerade weil Franz Jägerstätter seine Pflicht nicht erfüllte, den Wehrdienst in der Armee Hitlers verweigerte und dafür mit seinem Leben bezahlen musste, nicht die Schamröte ins Gesicht treiben?

Haben wir Widerstandskämpfern nach Kriegsende jene Wertschätzung entgegengebracht, die wir ihnen schulden, wenn wir mit dem Begriff der "Pflichterfüllung" als Gegensatz zum Widerstand kritisch umgehen?

Und haben wir uns jemals wirklich ernsthaft, ehrlich und wahrhaftig in die Situation jener versetzt, die unter den Bedingungen der Jahre 1938 bis 45 leben mussten?

Wer die zuletzt gestellten Fragen reinen Herzens und guten Gewissens bejahen kann, der werfe den ersten Stein.

Verehrte Trauergemeinde!

Ich übersehe nicht, dass wir alle in den letzten Jahren und Jahrzehnten dazugelernt haben und wichtige Schritte zur Aufarbeitung unserer Geschichte und unserer Schuld gesetzt wurden. Auch der nunmehr verstorbene Altbundespräsident hat dazugelernt. Er hat berührende letzte Worte zu Papier gebracht, er hat Fehler einbekannt und er hat vor allem seine Hand auch in Richtung seiner Kritiker und Gegner ausgestreckt. Er hat Versöhnung angestrebt.

Ich plädiere dafür, diese Hand nicht auszuschlagen und die Größe dieser Geste anzuerkennen.

Ich plädiere für Gerechtigkeit und für die Bereitschaft zur Versöhnung.

Und ich plädiere für weitere ernsthafte und gemeinsame Anstrengungen zum Zwecke einer um Objektivität bemühten Aufarbeitung der Grauzonen unserer jüngeren Geschichte.

In dieser Stunde des Abschiedes muss es unser Bemühen sein, im ereignisreichen Leben des verstorbenen Bundespräsidenten, in dem es ganz außergewöhnliche Höhepunkte, aber auch schwierige und schmerzliche Stunden gegeben hat, alle Teile seines Lebensweges in eine gerechte Relation zueinander zu setzen.

Die großen Leistungen von Kurt Waldheim, seine bleibenden Verdienste und seine Liebe zu Österreich dürfen nicht an den Rand gedrängt werden. Sie verdienen es, anerkannt und gewürdigt zu werden.

In wenigen Minuten wird der Verstobene vom Stephansdom ausgehend seinen letzten Weg zur Präsidentengruft antreten und im Sinne seines letzten Willens an zwei für sein Berufsleben symbolischen Punkten Station machen: Am Ballhausplatz und in der UNO-City.

Im Namen der Republik möchte ich dem Verstorbenen Dank sagen.

Ich möchte der Familie des Verstorbenen und insbesondere seiner Witwe, Frau Elisabeth Waldheim, nochmals unsere aufrichtige Anteilnahme zum Ausdruck bringen.

Und ich verneige mich vor dem von uns gegangenen Bundespräsidenten Dr. Kurt Walheim, der sowohl der Völkergemeinschaft, als auch seiner Heimat mit allen seinen Kräften gedient hat, der für die Idee des Friedens gearbeitet hat und den ich aus allen diesen Gründen einen großen Österreicher genannt habe.

Er möge in Frieden ruhen."