Straßburg - Polen will eine Verurteilung des Europäischen Gerichtshofs wegen eines Abtreibungsverbots für eine schwer kranke Frau nicht hinnehmen. Wie eine Sprecherin des Straßburger Gerichts am Donnerstag mitteilte, legte die Warschauer Regierung Rechtsmittel gegen das Urteil einer kleinen Kammer vom 20. März ein. Der Einspruch sei am Mittwoch eingetroffen, am letzten Tag der dreimonatigen Frist. Ein Gremium aus fünf Richtern wird den Angaben zufolge den Einspruch in Kürze prüfen. Sollten sie ihn akzeptieren, wird der Fall vor der aus 17 Richtern bestehenden großen Kammer des Gerichtshofs neu verhandelt.

Die Klägerin hatte im Jahr 2000 einen Schwangerschaftsabbruch aus therapeutischen Gründen beantragt. Sie war damals bereits stark kurzsichtig, und drei Augenärzte bescheinigten, dass eine neue Schwangerschaft zur Erblindung führen könne. Dennoch wurde ihr in einer Warschauer Frauenklinik der Abbruch verweigert. Als die Polin Ende 2000 ihr drittes Kind zur Welt brachte, erlitt sie eine Netzhautblutung, die ihre Kurzsichtigkeit dramatisch verschlechterte. Heute ist sie fast blind.

Im erstinstanzlichen Urteil hatten die Straßburger Richter der 36-Jährigen Recht gegeben. Sie wiesen die Warschauer Regierung an, der alleinerziehenden Mutter dreier Kinder, die heute mit einer kleinen Invalidenrente auskommen muss, 25.000 Euro Schmerzensgeld und 14.000 Euro für die Gerichtskosten zu zahlen. Dieses Urteil will Polen nicht befolgen. Der konservative Regierungschef Jaroslaw Kaczynski begründete den Einspruch am Dienstag mit dem polnischen Abtreibungsverbot, das bei einer Anerkennung des Straßburger Urteils geändert werden müsste.

Polen, dessen rund 38 Millionen Einwohner zu 90 Prozent katholisch sind, hat 1993 ein weitreichendes Abtreibungsverbot beschlossen. Ausnahmen werden nur nach Vergewaltigungen und Inzest, bei Lebensgefahr für die Mutter und einer schweren Missbildung des Fötus zugelassen. Ärzten, die gegen das Verbot verstoßen, drohen bis zu zwei Jahre Haft. Im April wollte die ultrakonservative Regierung auch diese Ausnahmen aufheben, was jedoch vom Parlament abgelehnt wurde. (APA)