Zur Person
Claudia Nichterl studierte Ernährungswissenschaften an der Universität Wien mit den Schwerpunkten Ernährungsökonomie und Ernährung und Umwelt.

Sie ist Gründungs- und Vorstandsmitglied bei g5e – der Verein "Gesellschaft für die Ernährung nach den Fünf Elementen" und Autorin mehrer Kochbücher

Foto: ESSENZ/NIchterl
In Westeuropa ist Tofu relativ neu und gilt als gesund. In Asien ist der Sojakäse schon seit dem zweiten Jahrhundert vor Christus ein weit verbreitetes Nahrungsmittel. Man nimmt an, dass dieser durch die Buddhisten verbreitet wurde, da diese als Vegetarier schon immer um die wertvolle Wirkung des Sojaproduktes Bescheid wussten. Im Interview zum westlichen Sojaboom, die Ernährungswissenschafterin und TCM (Traditionelle Chinesische Medizin)-Expertin Claudia Nichterl.

derStandard.at: Was ist Tofu und warum gilt er als so gesund?

Nichterl: Sojabohnenmilch ist die Quelle von Tofu. Sojabohnen zählen zu den Hülsenfrüchten und haben einen sehr hohen Eiweißanteil, der ungefähr bei 37 Prozent liegt. Das heißt, das ist cirka doppelt soviel Eiweiß wie in Fleisch. Zusätzlich handelt es sich um wertvolles pflanzliches Eiweiß.

Außerdem werden der Sojabohne noch viele andere gesundheitliche Wirkungen durch die Sekundären Pflanzeninhaltsstoffe (Anm.: zum Beispiel Isovlavone) nachgesagt, die in den letzten Jahren auch bei uns vermehrt Aufmerksamkeit bekommen haben. Man sagt sie wirken gegen Krebs. Sie helfen den Cholesterinspiegel zu senken und helfen gegen Wechselbeschwerden. Es gibt Studien dazu, dass Beschwerden bei regelmäßigem Konsum von Soja, beziehungsweise Tofu, günstig beeinflusst werden können.

derStandard.at: Kann man Tofu und Soja auch vorbeugend gegen Wechselbeschwerden essen?

Nichterl: Im Zustand der ersten Hitzewallungen hat Tofu einen positiven Effekt, da es aus Sicht der TCM sehr kühlend wirkt. Das wurde auch westlich durch die Isovlavone belegt. Das sind hormonartige Substanzen, die ähnlich wie das in unserem Körper produzierte Östrogen wirken. Sie helfen, dass der Hormonspiegel nicht so stark absinkt und wirken in den Wechseljahren als pflanzliche Hormone ausgleichend. Das ist die westliche Ansatz dazu.

derStandard.at: Viele sagen: Wozu etwas in der Ernährung etablieren, das nicht aus unseren Breiten stammt. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Nichterl: Ich sehe den steigenden Sojakonsum als Ernährungsberaterin bei uns durchaus kritisch. Weil Soja oft nicht vertragen wird oder Allergien auslöst: Die Chinesische Medizin kennt diesen Erklärungsansatz über das "Zhong Qi" die sogenannte "großmütterliche Instanz" in unserem Körper. Diese besagt, dass wir einfach das gut vertragen, was in unserer Region von unseren Vorfahren häufig gegessen wurde. Tatsache ist: in unserer klassischen traditionellen Ernährung gab es keine Sojaprodukte.

derStandard.at: Gibt es diesbezüglich Erfahrungswerte?

Nichterl: Ich persönlich stelle häufig fest, dass Sojaprodukte jetzt zwar modern sind, aber bei manchen Menschen nicht verdaut werden können. Auch Allergien scheinen stark anzusteigen.

Das Dilemma dabei ist leider, dass Sojamehl oder Sojalecithine oft in Nahrungsmitteln enthalten sind, in denen man es nicht erwarten würde. Das liegt daran, dass die Nahrungsmittelindustrie natürlich sehr auf das günstige Soja setzt.

derStandard.at: Wie merke ich, ob ich Soja vertrage oder nicht?

Nichterl: Wenn man ein Schweregefühl hat, Blähungen und einen dicken Bauch, dann passt es meistens nicht so gut. Man kann es dann noch mit einem geräucherten Tofu versuchen, der wirkt nicht ganz so kühlend, sondern etwas wärmer. Aber wenn man generell das Gefühl hat, etwas bekommt einem nicht so, dann würde ich eher auf heimische Produkte setzen.

derStandard.at: Ein "Ernährungsboom" folgt dem nächsten. Früher war es "Vollkorn" jetzt ist es "Soja" - Gibt es aus ihrer Sicht Nahrungsmittel, die tatsächlich für jeden empfehlenswert sind?

Nichterl: Ich sehe Essen als etwas sehr Individuelles: was dem Einen gut tut, muss dem Anderen nicht unbedingt auch gut tun. Essen soll den eigenen Bedürfnissen entsprechen, da ist jeder sein eigener Ernährungsberater und Spezialist für seinen Körper.

derStandard.at: Wie merke ich was mir gut tut?

Nichterl: Das sieht man oft im Freundeskreis: Jemand ist zum Beispiel ganz begeistert von einem Sojajoghurt. Dann probiert man es auch und selbst fühlt man sich nicht gut. Diese Verantwortung für sich sollte man wahrnehmen und einfach ein anderes Produkt, oder eine andere Alternative ausprobieren.

derStandard.at: Bei welchen medizinischen Indikationen würden Sie Soja nicht empfehlen?

Nichterl: Wenn jemand an einer Verdauungsschwäche leidet und zum Beispiel auch keine Vollkornprodukte verträgt. Wenn jemand sehr unter Kälte leidet und leicht friert würde ich Soja und Tofu eher nur im Sommer und in kleinen Mengen ausprobieren und zusätzlich auch nur in gekochter Form. (Andrea Niemann)