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Gerfried Sperl hat am Samstag gefordert, Andreas Unterberger solle Chefredakteur der Wiener Zeitung bleiben. Zu Recht: Die Absetzung eines Chefredakteurs durch den Bundeskanzler wäre medienpolitisch ein befremdliches Zeichen, umso mehr, wenn es aus Gründen politisch missliebiger Kommentare geschähe.

Doch ist es nicht mindestens ebenso befremdlich, wenn kraft gesetzlicher Verpflichtung Tag für Tag Unternehmen (und Behörden, Gerichte, ja sogar politische Parteien) mit ihren Pflichteinschaltungen zur Finanzierung eines Meinungsblattes beitragen müssen? Immerhin hat Medienministerin Bures unlängst in einem Interview im Online-Standard eingeräumt, dass sich die Wiener Zeitung hauptsächlich aus Pflichtveröffentlichungen finanziert. Anders formuliert: Wenn zum Beispiel der Verfassungsgerichtshof pflichtgemäß seine Verhandlungen im Amtsblatt ankündigt, trägt er zur Finanzierung einer Zeitung bei, in der zum Begriff Verfassungsgerichtshof auf der Kommentarseite schon einmal "hübsch, aber unnötig" assoziiert wird.

Die Wiener Zeitung hatte einst eine wesentliche Funktion: Transparenz zu schaffen. In Zeiten, in denen man nicht einfach einmal eine Website anklicken konnte, um zum Beispiel über Konkurseröffnungen oder Nationalratstagesordnungen informiert zu werden, gewährleistete sie die verlässliche Information vor allem der öffentlichen Verwaltung, der Rechtsberufe und mancher Bereiche der Wirtschaft über "publizitätspflichtige" Umstände und das parlamentarische und politische Geschehen.

Heute können Kundmachungen jederzeit im Internet erfolgen. Die Republik macht davon auch guten Gebrauch: Bundesgesetze werden etwa seit 2004 authentisch nur im Internet veröffentlicht. Die Pflichtveröffentlichungen in der Wiener Zeitung haben in der Regel einen wesentlich engeren Adressaten- oder Interessentenkreis, sodass eine Pflicht zur elektronischen Kundmachung dem Publizitätsanspruch jedenfalls genügen müsste.

Anachronismus

Die Republik könnte also ohne Schaden auf ein gedrucktes Amtsblatt verzichten. Den Amtsblatt-Anachronismus aber - auf Kosten der zu Pflichteinschaltungen gezwungenen Unternehmen - aufrecht zu erhalten, um damit ein Meinungsblatt zu finanzieren, ist medienpolitisch nicht mit gutem Gewissen zu vertreten.

Was also tun? Unterberger selbst hat dem Bundeskanzler schon im Jahr 2000 (damals noch in der Presse) vorgeschlagen, die Wiener Zeitung "von heute auf morgen" zuzusperren. Dem schließe ich mich nicht an. Kein Bundeskanzler sollte in die Verlegenheit (oder Versuchung) kommen, einen Chefredakteur ein- oder abzusetzen oder gar eine Zeitung zuzusperren. Allerdings sollte der Bundeskanzler auch nicht dafür geradestehen müssen, dass in einer von der Republik herausgegebenen Publikation David Irving als "studierter Historiker und berufsmäßiger Autor von Büchern, die nirgends verboten sind", schöngeschrieben wird.

Die Lösung dieses Dilemmas ist einfach: Abschaffung aller gesetzlichen Veröffentlichungspflichten in der Wiener Zeitung, Kündigung aller nur wegen des Amtsblattes bestellten Abos öffentlicher Stellen - und schließlich Verkauf der Anteile an der Wiener Zeitung GmbH. Andreas Unterberger, da stimme ich Gerfried Sperl zu, soll seinen Vertrag als WZ-Chefredakteur aussitzen können. Er soll bleiben, für die Republik aber ist es höchste Zeit zu gehen. (DER STANDARD; Printausgabe, 20.6.2007)