Ines Doujak lässt Hoffnungen auf Kunst keimen: Im Beet der Verhältnisse lauert die Begrifflichkeit.

Foto: documenta
Wer jetzt noch nicht Bescheid weiß, muss Kuratorenworten lauschen!


Wir schreiben das Ende des 17. Jahrhunderts. Ein junger Sufi-Mystiker liest seinem spirituellen Meister vor. Die Szene muss man sich jetzt in einer beziehungsgeladenen Landschaft vorstellen. Das Bild aus dem Norden Indiens kündet von Ergriffenheit. Im Zentrum des rituellen Meister-Schüler-Austauschs kann man unschwer Roger M. Buergel erkennen, der mit der gebotenen Milde eben einem jener Besucher seiner 12er-documenta lauscht, die bereit waren zu lernen – die nicht bloß die Oberfläche verherrlicht haben, sondern solange an dieser gekratzt haben, bis es nichts mehr wegzuschälen gab. Und also war am Schluss das Wort; und das war gut so.

Hoch über Kassel, im Schloss Wilhelmshöhe, haben Roger M. Buergel und Ruth Noack diese Miniatur platziert und so dem Sinnbild der Hoffnung eine documenta unterstellt: die erste, von der man lernen kann, ohne von derben Boxern wie Jan Hoet oder Dramaturgen wie Harald Szeemann den Blick auf die Essenz mit Gesten verstellt zu bekommen. Im Paradies, lernt der Besucher, braucht es kein Testosteron, im Paradies tropft kein Schweiß. Im Paradies hat der Diskurs den stets lästigen Fall seines Anlasses überrundet. Im Paradies gibt es keine Objekte mehr, und also keine Vorwürfe.

Doch wo kein Licht, da auch kein Schatten. Den braucht das Paradies. Der Einlasscode an der Himmelstür ist "Böse, böse, böse!", womit aufrichtig immer die Anderen korrekt bezeichnet sind, deren Treiben sich erst von über den Wolken aus gerecht dokumentieren lässt. "von hier aus!" gab Joseph Beuys vor auch schon wieder einiger Zeit einer Ausstellung in Düsseldorf als Titel. "Weg von hier!", ist Buergel/Noacks Motto. Weg von der documenta, weg vom Material, vom Krempel, der die Kunst bestimmt. Das Logo kündet von der Hoffnung der Gefangenen: Buergel/Noack zählen die Tage hinter Gittern. Zwei Fünferblöcke sind ausgestrichen, und schon vorzeitig könnte der dritte der letzte sein. Weil: gute Führung!

Mustergültig haben beide sich verhalten, sind auf Distanz gegangen zu den Rabauken im Bau. Paritätisch haben sie auf alle Minderheiten ihr Mitgefühl verteilt. Und freundlich zu den Aufsehern waren sie obendrein. Sie haben Mut bewiesen, haben einigen Künstlern zum Trotz das zu unrecht der Moderne zum Opfer gefallende Anheimelnde des schützenden Vorhangs hochgehalten, die Kasseler Ausstellungshäuser auf "Elle-Decoration"-tauglich getrimmt. Chapeau!

Anspruch auf Gutes

Und also ist der Anspruch auf vorzeitige Entlassung schwer berechtigt. Wer soviel Gutes tut, den soll man nicht aufhalten – der hat sich jede Unterstützung redlich verdient. Auch und gerade die von Saab: Der schwedische Konzern fertigt außer Abfangjägern auch Panzerfahrzeuge für den zivilen Gebrauch und freut sich, via Aussendung mitteilen zu können: "Der künstlerische Leiter der diesjährigen documenta, Roger M. Buergel, erhielt ein weißes Saab-9-3-Cabrio."

Zum einen unterstreicht Saab damit seinen Anspruch auf Individualität und führt die Verbindung der Marke mit Kunst auf hohem Niveau fort, was sich unter vielem anderem am Buergel-gerecht "elegant ausfahrenden Getränkehalter" zeigt, und setzt zudem in Sachen Umweltfreundlichkeit Maßstäbe durch "BioPower"-Technologie.

Und das führt uns unmittelbar zurück ins Herz der leider unvermeidlichen Ausstellung: In den Aue-Pavillon nämlich, dessen Entwerfer Lacaton & Vassal sich unschöner Weise von der Ausführung distanziert haben. Mit voller Kraft für Bio ist dort auch Ines Doujak: Ihr über viele Meter hin reichendes, von Haselnussstöcken getragenes Pflanzenbeet beherbergt allerlei seltsame Sprosse. Ganz so wie im Schrebergarten markieren auf Staberln gehisste Samentüten die jeweiligen Saatorte, und wie im Schrebergarten ist die Aussaat eine verheerende, ist doch das Saatgut meist bloß einmal-keimfähiges Material der zynischen Biopiraten der Großkonzerne, deren Kapitalmacht sich Patente auf alles zu sichern weiß.

Und also gibt Doujak auf den Tüten keine Hinweise zu Aussaat und Pflanztiefe der prospektiven Blütenpracht, sondern veröffentlicht in den Beipacktexten zum ordentlichen Gebrauch die Praktiken der Multis.

Damit sich das als Kunstwerk jetzt aber doch von einem gut recherchierten Artikel zum Thema unterscheidet, spinnt sie auch noch ein Bezugsnetz zur allgegenwärtig bloß noch fetischisiert anzutreffenden Sexualität.

Zu einem recht plakativen Ergebnis hat auch Peter Friedl nach langer Recherche gefunden. Er zeigt uns eine Giraffe. Natürlich nicht irgendeine Giraffe, sondern eben jene, der am 19. August 2002 im die Unruhen im Westjordanland zum Verhängnis wurden: Im Zuge von Schießereien nämlich ging sie zu Boden. Das ist ganz schlecht für Giraffen, da steigt der Blutdruck im Kopf letal an, und: aus! "Brownie" trat damit in ihr zweites Leben ein. Von einem Tierarzt laienhaft ausgestopft, konnte Peter Friedl sie gut gebrauchen:

"Diese Geschichte beginnt mit der wundersamen Metamorphose der toten Giraffe zu einer Idee", sprach Roger M. Buergel zur Giraffe. Und sah, dass er gut war. (Markus Mittringer aus Kassel/ DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.06.2007)