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"I love Gaza": DemonstrantInnen in Gaza wie auch im Westjordanland rufen zu einem Ende der Kämpfe auf. Bei weitem nicht alle identifizieren sich mich einer der beiden militanten Gruppen: "Die Mehrheit der Menschen im Gaza-Streifen ist diesen Konflikt, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird, einfach leid", erklärt Thomas Birringer von der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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Wenn die Krise im Gaza-Streifen durch einen militärischen Sieg der Hamas beendet wird, sieht der Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah auch die Gefahr einer Teilung der palästinensischen Gebiete: "Das Ergebnis könnte tatsächlich ein Hamas-Staat in Gaza und ein säkularer Fatah-Staat von Abu Mazen im Westjordanland sein."

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Birringer warnt auch vor der Entsendung einer internationalen Friedenstruppe: "Ich befürchte, einer internationalen Truppe im Gaza-Streifen wird es dort nicht anders ergehen als den US-Amerikanern im Irak."

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Thomas Birringer, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für die palästinensischen Autonomie-Gebiete, warnt im derStandard.at- Interview mit Heidi Weinhäupl vor Friedenstruppen im Gaza-Streifen: Diesen würde es dort nicht anders ergehen als den US-Amerikanern im Irak. Auch Neuwahlen sieht er als riskante Strategie an - man müsse weiterhin auf Präsident Abbas setzen.

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derStandard.at: Wie schätzen Sie die derzeitige Lage im Gaza-Streifen ein – kann man hier von einem Bürgerkrieg sprechen?

Birringer: Das kann man in den letzten zwei, drei Tagen sicherlich: Es gab Dutzende Tote seit dem Wochenende, Schulen und Universitäten haben geschlossen, es wurde sogar in Krankenhäusern gekämpft, die Polizeistationen der Fatah-dominierten Sicherheitsdienste wurden von Hamas überrannt. Man kann von einem Bürgerkrieg sprechen, derzeit offenbar sogar von einem Bürgerkrieg, den Hamas im Begriff ist zu gewinnen.

derStandard.at: Wie schätzen sie den aktuellen Rückhalt der Hamas in der palästinensischen Bevölkerung ein?

derStandard.at: Es identifiziert sich keineswegs die gesamte Bevölkerung im Gaza-Streifen mit einer der beiden Gruppen – zumindest nicht mit einem der beiden militanten Arme. Die Mehrheit der Menschen im Gaza-Streifen ist diesen Konflikt, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird, einfach leid.

derStandard.at: Worum geht es in diesem Konflikt – was steht dahinter?

Birringer: Es geht um die Macht im Gaza-Streifen, darum, ob die eher säkulare Fatah oder die islamistische Hamas-Bewegung die Oberhand behält. Die nach dem Abkommen von Mekka im Frühjahr vereinbarte und geschlossene Regierung der nationalen Einheit war doch nicht so stabil, wie das viele Beobachter erhofft haben. Die erzielte Einigung zwischen beiden Gruppen war sehr fragil – vor allem was die Kontrolle über die Sicherheitskräfte angeht. Eigentlich gab es keine wirkliche Einigung, sondern nur einen Formelkompromiss, und das rächt sich jetzt.

derStandard.at: Der palästinensische Außenminister Ziad Abu Amr gibt auch der internationalen Gemeinschaft eine Teilschuld – die Gefechte seien das Resultat der katastrophalen wirtschaftlichen Lage aufgrund internationaler Nachlässigkeit. Können Sie dieser Argumentation etwas abgewinnen?

Birringer: Ja und nein. Die wirtschaftliche Lage ist in der Tat katastrophal, die Menschen haben kaum noch Außenkontakte, es gibt kaum Exporte und damit hat auch die Wirtschaft keine Möglichkeit, auf eigene Beine zu kommen. Insofern kann ich die Enttäuschung des Außenministers verstehen. Auf der anderen Seite waren der internationalen Gemeinschaft die Hände gebunden, da die Hamas auch nach der Bildung der Regierung der nationalen Einheit die drei Kriterien des Nahostquartetts nicht erfüllte – sprich: die Anerkennung des Existenzrechts Israels, die Einhaltung aller bestehenden Verträge und vor allen Dingen, wie man jetzt sehen kann, Gewaltverzicht.

derStandard.at: Abu Amr warnt auch vor einer Ausweitung der Kämpfe auf das Westjordanland – gibt es dafür bereits erste Anzeichen?

Birringer: Hier in Ramallah ist es bisher sehr ruhig geblieben, es gibt zwar erste Anzeichen, beispielsweise wurde Dienstagabend ein hochrangiger Hamas-Funktionär hier entführt. Insgesamt ist es aber bezeichnend, wie ruhig – gemessen an der Gewalteskalation im Gaza-Streifen – es im Westjordanland in den letzten Tagen war. Daran kann man meines Erachtens erkennen, dass die beiden Gebietsteile immer weiter auseinanderdriften.

derStandard.at: Sehen Sie die Gefahr, dass sich die beiden Gebiete noch weiter voneinander entfernen – bis hin zur Trennung?

Birringer: Ich sehe diese Gefahr durchaus. Wenn die Krise im Gaza-Streifen durch einen militärischen Sieg der Hamas beendet wird, was sich ja momentan abzeichnet, könnte die Hamas – als Folge ihrer gewaltsamen Vorgangsweise – im Westjordanland deutlich an Popularität verlieren. Das Ergebnis könnte tatsächlich ein Hamas-Staat in Gaza und ein säkularer Fatah-Staat von Abu Mazen im Westjordanland sein. Das wäre natürlich sehr problematisch, schließlich ist das Hauptelement der Nahoststrategie ja die Zweistaatenlösung – Israel und ein palästinensischer Staat, nicht zwei palästinensische Staaten.

derStandard.at: Welche Lösungsszenarien sehen Sie?

Birringer: Die Fatah hat ihre Mitarbeit in der Regierung der nationalen Einheit erst einmal ausgesetzt, aber meiner Meinung nach muss man weiterhin auf Präsident Abbas, auf die Regierung setzen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Dies wird aber jetzt, nach den Ereignissen der letzten Tage, sehr, sehr schwierig sein.

derStandard.at: Halten Sie einen weiteren Waffenstillstand für sinnvoll?

Birringer: Es ist natürlich möglich, dass ein Waffenstillstand geschlossen wird – ob er hält ist die zweite Frage. Im Moment sieht es eher nach einem militärischen Sieg der Hamas im Gaza-Streifen aus.

derStandard.at: Neuwahlen stehen im Raum – könnte dies an der Situation etwas verbessern?

Birringer: Nicht unbedingt, das ist eine sehr riskante Option. Zur Debatte stehen ja nicht nur Parlamentswahlen, sondern auch eine Neuwahl des Präsidenten – und die politische Situation ist derzeit sehr volatil. Aktuelle Meinungsumfragen besagen zwar, gemessen an den Wahlen im letzten Jahr, leichte Stimmenverluste für Hamas, aber das kann sich schnell ändern. Das Risiko wäre sehr hoch; es kann passieren, dass im Falle von Neuwahlen mit Präsident Abbas auch noch der letzte Ansprechpartner verloren geht.

derStandard.at: Welche Rolle spielte Israel bisher in diesem Konflikt? Wäre ein Eingreifen oder die Unterstützung einer der Konfliktparteien aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Birringer: Eine offene Unterstützung Israels für eine der beiden Konfliktparteien würde sicherlich nur der anderen in die Hände spielen, da damit diese Gruppe in den Augen der Bevölkerung disqualifiziert wäre. Insofern wäre das eher kontraproduktiv – und das wissen auch die Israelis.

derStandard.at: Würde die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe, wie von Abbas und auch dem israelischen Premier Olmert vorgeschlagen, etwas bringen?

Birringer: Das ist sehr fraglich. Alle, mit denen ich bisher über diese Möglichkeit für den Gaza-Streifen gesprochen habe, warnen eindringlich davor. Ich befürchte, einer internationalen Truppe im Gaza-Streifen wird es dort nicht anders ergehen als den US-Amerikanern im Irak.

derStandard.at: Und ein verstärktes Engagement arabischer Staaten?

Birringer: Ägypten versucht ja im Gaza-Streifen zu vermitteln und hat auch großen Einfluss dort. Doch in den letzten Tagen blieben auch die ägyptischen Bemühungen, beide Gruppen an einen Tisch zu bringen, leider ohne Erfolg. Die diversen Waffenstillstandsversuche, die es in den Wochen davor gab, gingen vorwiegend auf ägyptische Vermittlung zurück.

derStandard.at: Es wird ja auch befürchtet, dass sich im Gaza-Streifen noch radikalere Gruppen als die Hamas durchsetzen könnten. Sehen Sie da Anzeichen dafür?

Birringer: Da kann man schwer hineinschauen. Es gibt im Gaza-Streifen inzwischen einige Gruppen, die sich selbst als der Al-Kaida zugehörig sehen. Die Frage ist, inwiefern da wirklich eine Befehlskette existiert. Auf jeden Fall gibt es diese Gruppen, aber auch der militante Arm von Hamas ist schon radikal genug.

derStandard.at: Die Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt laut ihrer Homepage auch den Staatswerdungsprozess in den Autonomie-Gebieten – welche Projekte wurden dazu durchgeführt?

Birringer: Hier gibt es eine Fülle an Projekten, vor allen Dingen im Bereich der Zivilgesellschaft, aber auch des Rechtsstaates. Beispielsweise fördern wir ein Rechtsinstitut an der Universität Birzeit, das Gesetze entwirft, die dann auch ins Parlament eingebracht werden. Wir fördern ein Meinungsforschungsinstitut, eine Anti-Korruptions-NGO, wir helfen beim Aufbau eines Wirtschaftsverbandes, einer politischen Jugendorganisation – also in vielen Bereichen. Ziel ist es, eine funktionierende Zivilgesellschaft zu bilden, die dann später einmal die Grundlage für einen stabilen Staat darstellen kann.

derStandard.at: Gefährdet die derzeitige Krise auch den Erfolg Ihrer Arbeit?

Birringer: Die Gefahr, dass solche langfristig angelegten Projekte durch aktuelle Ereignisse beeinträchtigt werden, ist natürlich immer da. Andererseits richtet sich diese langfristige Arbeit eben auch an diejenigen, die nicht in die Gewaltexzesse involviert sind. Insofern ist es gerade jetzt wichtig, weiterzumachen und diejenigen Kräfte in den palästinensischen Gebieten zu stärken, die nicht zur Waffe greifen. (Heidi Weinhäupl, derStandard.at, 14.6.2007)