Die Journalistin Taghreed El-Khodary arbeitet im Gazastreifen. Neben der "New York Times" berichtet sie für Al-Hayat TV. Der STANDARD erhielt ihren Brief Dienstag.

Als Journalistin habe ich über die zweite Intifada berichtet. Ich habe über den israelischen Rückzug geschrieben. Und plötzlich muss ich über heftige Kämpfe zwischen Palästinensern berichten. Es ist schockierend zu sehen, wie die Menschen, die gemeinsam gegen die israelische Besatzung gekämpft haben, plötzlich gegeneinander kämpfen. Am schlimmsten ist es, wenn sie kämpfen und dabei Zivilisten zwischen den Fronten gefangen sind.

Und dann hörst du Geschichten von Zivilisten, die ihre Liebsten verloren haben, oder deren Angehörige oder Freunde verletzt wurden. Und es ist das gleiche, was die Israelis ihnen angetan haben. Aber diesmal sind es palästinensische Kugeln. Und dann musst du über die Enttäuschung berichten und über die Depression der Menschen.

Da ist zum Beispiel die 60-jährige Hoda, die Angst hatte, ihren Familiennamen zu nennen, weil sie fürchtet, von der Fatah oder der Hamas getötet zu werden. Sie sagte zu mir: "Wenn Israel angreift, kann ich damit umgehen. Israel ist unser Feind, daher haben wir den Willen, dagegen anzukämpfen. Aber wenn Palästinenser gegeneinander kämpfen, ist es sehr frustrierend und deprimierend, psychologisch gesehen."

Jemand anderer, ein Fatah-Angehöriger, dessen Bruder bei den Zusammenstößen verletzt worden ist, sagte zu mir: "Was zwischen den Palästinensern passiert, geschieht aufgrund des Boykotts, der von der internationalen Gemeinschaft gegen uns verhängt worden ist. Wenn man Menschen aushungert, werden sie verletzlich und können von beiden Parteien leicht manipuliert werden. Jede der beiden Parteien kann die Menschen dann für ihre eigenen Interessen missbrauchen."

Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich von maskierten Männern aufgehalten worden, die mich gefragt haben, wohin in Gaza-Stadt ich gehe. Ich habe auch zum ersten Mal gesehen, dass palästinensische Sicherheitskräfte Menschen anhalten und nach ihren Ausweisen fragen, bloß weil sie einen Bart haben. Zum ersten Mal sehe ich Leute, die Angst haben, sich frei zu bewegen. Das passierte auch in der ersten Intifada. Aber damals haben Israelis Palästinenser angehalten. Plötzlich sehe ich Checkpoints in Gaza, die von Palästinensern eingerichtet worden sind. Noch dazu gibt es eine selbst auferlegte Ausgangssperre. Es ist so traurig zuzuschauen, wie Gaza zu einem Albtraum wird.

Auf der anderen Seite habe ich Angst, wenn ich im Auto mit einem Fahrer unterwegs bin, dass Israel sein Ziel verfehlt und die Rakete mein Auto in Stücke reißt.

Die Angst begleitet dich immer, wenn du arbeitest, wenn du im Auto unterwegs bist, wenn du hinausgehst. Die Angst vor dem Tod verfolgt dich, aber du musst lernen, diese Angst beiseite zu schieben, weiterzumachen und weiter über die Ereignisse im Gazastreifen zu berichten.

Was die Menschen betrifft, bin ich aber Optimistin. Ich glaube daran, dass die Veränderungen von den Menschen selbst kommen werden. Man spürt, dass die schweigende Mehrheit es satt hat und frustriert ist, sowohl über die Hamas als auch über die Fatah. Und ich glaube, dass beide Streitparteien erkennen, dass sie den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren werden, wenn die internen Kämpfe weitergehen. Es ist definitiv Zeit für eine Alternative.

Aber traurigerweise gibt es keine Alternative für uns. Die internationale Staatengemeinschaft, die Fatah, die Hamas und Israel müssen begreifen, dass alle Parteien einbezogen werden müssen, um eine politische Lösung zu erreichen. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2007)