Von der Isar an die Donau: die Historikerin Martina Steer.
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"Menschen lernen nur ganz bedingt aus der Geschichte, da sie annehmen, ihre Situation sei so noch nie da gewesen", glaubt Martina Steer, Spezialistin für jüdische Geschichte der Neuzeit und Erinnerungsforschung an der Universität Wien. Mit einem APART-Stipendium der Akademie der Wissenschaften erforscht die Historikerin transkulturelle Erinnerungstradition, die sich an die Bedürfnisse der sich erinnernden Gruppe anpasst.

Als Beispiel fungieren die Jubiläen zu Ehren des deutsch-jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Nach zahlreichen Stipendien, einer Gastprofessur an der Uni Wien und einem Forschungsaufenthalt im polnischen Wroclaw kann sich die 34-Jährige endlich drei Jahre voll auf ihre Habilitation konzentrieren. Auch freut sie die externe Bestätigung, "dass mein Projekt gut und interessant ist".

Keine Frauenforschung

Steer hat sich intensiv mit den Publizistinnen Margarete Susman und Bertha Badt-Strauss befasst. Frauenforschung sei das aber keine, "denn wer sich für Victor Adler interessiert, ist ja auch kein Männerforscher", so Steer. Leben, Persönlichkeit und Arbeit der Vordenkerinnen seien eben - wie jene von fast allen Frauen - in einer männerzentrierten Geschichtsschreibung übergangen worden.

In der Ludwig-Maximilians-Universität in München studierte sie zunächst Volkswirtschaftslehre "aus einer Art Weltverbesserungsdrang". Doch Rechnungswesen begeisterte sie auf Dauer nicht. Dass die Wahl dann auf Neuere Geschichte fiel, lag an den spannenden Seminarankündigungen. Eine pragmatische Entscheidung, die sich als goldrichtig erwies.

Ihr Betätigungsfeld beginnt im westlichen Kulturraum mit Ende des Mittelalters oder ereignisbezogen mit der Erfindung des Buchdrucks, der Reformation und der Entdeckung Amerikas.

Während des Studiums jobbte sie in einer Kinderpsychiatrie und schrieb viel für Zeitungen. Es war ihr wichtig, mehrere Standbeine zu haben. Eine Strategie, die sie Studenten auch heute nur empfehlen kann, "damit man eine Vorstellung bekommt, was einen beruflich interessiert".

Effizient, aber nicht das Denken fördernd

Ein Jahr lang genoss sie in Rotterdam die intensive, aber auch bezahlte Uni-Betreuung. Das eher verschulte System "ist effizient, fördert aber nicht unbedingt selbstständiges Denken und Arbeiten", urteilt die Historikerin, der an Letzterem viel liegt. Seminare wurden in Niederländisch und Englisch angeboten, die Professoren- und Studentenschaft war international, "was mir bei uns sehr fehlt". Kein Wunder, spricht sie doch mehrere Sprachen, darunter Hebräisch und Niederländisch.

Diese Sprachen sind für sie - so sehr sie sich "an Literatur erfreue und auch selbst gerne schreibe" - Mittel zum Zweck: "Ich habe sie immer dann gelernt, wenn ich sie tatsächlich gebraucht habe."

Nach der Diplomarbeit hatte sie vom Uni-Betrieb erst einmal genug und begann bei einer Presseagentur. Von der Isar an die Donau kam die in Landshut geborene Wissenschafterin mit ihrem Uni-Betreuer, der nach Wien berufen wurde und sie motivierte, hier ihre Dissertation zu verfassen.

Mit ihrem Mann, einem eigenen und zwei Stiefkindern verbringt sie ihre Freizeit. Freunde treffen, Lesen, Sport machen, Klavier spielen und in die Oper gehen sind weitere Möglichkeiten abzuschalten. Als Kind liebte sie die Bücher von Christine Nöstlinger und hatte sich insgeheim vorgenommen, bei Gelegenheit für eine Weile nach Wien zu ziehen, was ihr vor sieben Jahren ja auch gelungen ist. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe 13.06.2007)