Menschen mit sozialer Phobie ziehen sich zurück, Depression und Sucht können Folgeerscheinungen sein.

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Als Elfriede Jelinek der Nobelpreisverleihung fern blieb und das mit ihrer Angststörung begründete, fand der Begriff "Sozialphobie" den Weg in die Massenmedien. Aber Verständnis und Anteilnahme hielten sich in Grenzen.

Einfach peinlich

Der Schriftstellerin passierte, wovor sich Menschen mit sozialer Phobie so fürchten: Viele fanden sie peinlich. "Er/sie soll sich nicht so anstellen", ist eine der gängigsten Reaktionen auf Soziale Phobie und zeigt den Mangel an Information über diese häufige, oft chronische Störung. Menschen, die an sozialer Phobie leiden, haben Angst vor dem Zusammentreffen mit Unbekannten, fürchten sich vor Leistungssituationen, vor Beurteilung.

Symptome

Die Vorstellung, im Mittelpunkt des Interesses stehen zu müssen - ob bei einer Ehrung, Präsentation, Prüfung oder auch nur in der Familie - löst schlimmste Befürchtungen aus: Ich werde erröten, stottern, schwitzen, Unsinn von mir geben. Diese körperlichen Symptome sind ebenso typisch für Sozialphobie wie kognitive Symptome, etwa ausgeprägte Selbstzweifel und -kritik: "Niemand mag mich, ich bin langweilig, hässlich, kann nichts." Jeder zehnte Mensch lernt, so internationale Studien, im Laufe seines Lebens diese Qual kennen.

Smalltak kann zur Tortur werden

Die Angst vor den Mitmenschen befällt Frauen und Männer gleichermaßen und tritt in alltäglichen Situationen auf: Beispielsweise dann, wenn es darum geht, die eigene Meinung zu vertreten, in einem Geschäft etwas zu reklamieren. Smalltalk oder Flirten werden zur Tortur, die Ängste können zu Panikattacken führen.

Häufig in der Pubertät

Soziale Phobie zeigt sich häufig erstmals in der Pubertät; ein Erlebnis, das als peinlich empfunden wird, kann der Auslöser sein. Die Ängste sind meist unbegründet, denn Sozialphobiker sind oft Perfektionisten. "Sie steigern sich in die Perfektion hinein, kommen in extremen inneren Stress. Sie könnten es, trauen sich aber nicht", sagt der Linzer Psychologe und Therapeut Hans Morschitzky, Autor mehrerer Bücher zum Thema.

Schüchtern oder Angststörung?

Morschitzky: "Ein schüchterner Mensch steht auch nicht gerne im Mittelpunkt. Wenn er aber muss, dann kann er es. Der Schüchterne ist verlegen, fühlt sich nicht wohl, aber er funktioniert." Sozialphobiker hingegen bekommen körperliche Zustände, ihre Versagensängste sind so stark, dass sie gefürchtete Situationen vermeiden, sich verweigern. Angststörungen gelte es deshalb früh zu behandeln, sagt Morschitzky, um Isolation, aber auch Folgeerscheinungen wie Depression oder Suchtkrankheiten zu verhindern.

Warnsignale

Warnzeichen sind sozialer Rückzug und Vermeidungsstrategien. Betroffene schützen Terminnot oder körperliche Symptome vor, um Problemsituationen zu vermeiden, sie gehen nicht mehr allein aus, werden zu Schul- oder Prüfungsverweigerern. Bemerkt man Verhaltensänderungen, sollte man, rät Morschitzky, die Betreffenden konfrontieren, sie nach ihren Problemen und Ängsten fragen.

Verständnis und Zuneigung

Wichtig sei aber Verständnis und Zuneigung zu vermitteln: "Wir mögen dich, wir nehmen dich ernst." Gegen die Angst anzukämpfen mache wenig Sinn, vielmehr müsse man lernen, mit den Ängsten umzugehen. Ziel der Therapie - am besten bewährt haben sich tiefenpsychologische Therapiemethoden und kognitive Verhaltenstherapie - sei deshalb, "die Angst in bestimmten Situationen zu tolerieren und trotzdem das Bestmögliche zu tun". (MEDSTANDARD/11.06.2007)