Dirigent Nikolaus Harnoncourt schätzt die Ausdrucksextreme, wozu auch die Erweckung des Sanften gehört.

Foto: Kmetitsch
Beethoven war letztlich daran "schuld", dass Harnoncourt Musiker wurde.
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Es ist ja nicht mehr wirklich ohne Staunen nachvollziehbar, dass Nikolaus Harnoncourt in seiner Jugend das Marionettentheater mehr fasziniert haben soll als die Musik, dass er gar überlegt hatte, Schauspieler oder Bühnenbildner zu werden, während ihm die Musik zwar lieb und teuer war, keinesfalls jedoch ein Berufswunsch - indes, so war es. Dann allerdings kam jener Augenblick, da lag Harnoncourt, man schreibt das Jahr 1947, krank im Bett und hörte den großen Exzentriker des Musikgestaltens, Wilhelm Furtwängler, Beethovens 7. Symphonie dirigieren, und beschloss Musiker zu werden.

Langer Weg

So wie der Weg zum Dirigieren dann ein nicht gerade kurzer war - viele Jahre als Cellist bei den Wiener Symphonikern (ab 1952) und die parallel dazu verlaufende Gründung des Concentus Musicus lagen dazwischen -, so war auch der Weg zur gestalterischen Auseinandersetzung mit Beethoven auch ein durchaus zeitaufwändiger. Zwar gab es die Konfrontation mit dem Fidelio, der Eroica und dem Violinkonzert. Das symphonische Werk in seiner umfassenden Form umzusetzen, dies wurde offenbar erst 1990 sinnvoll, bei der styriarte, zusammen mit dem Chamber Orchestra of Europe.

So hat das diesjährige Vorhaben, in Graz Beethovens 5. Symphonie und die Messe in C (an drei Abenden) aufzuführen - und dies wieder mit dem Chamber Orchestra of Europe -, ein bisschen etwas von einer Rückkehr. Wobei es spannend sein wird, zu hören, wie sich Harnoncourts Beethoven im Laufe der Jahre gewandelt hat. Eine gewisse Unberechenbarkeit darf man ja dem 1929 in Berlin Geborenen immer unterstellen. Schließlich ist er jemand, für den jede Aufführung möglichst eine Uraufführung zu sein hat ("Man muss jedes Stück, das man macht, neu denken!"), jemand, der - als bräuchte es ab und an ein spezielles Zeichen der Kühnheit - plant, 2008 den Idomeneo bei der styriarte nicht nur zu dirigieren, vielmehr auch zu inszenieren.

Grundsätzlich: Beethoven ist wohl für Harnoncourt immer aktuell. Er mache nur Musik, die er "für notwendig hält", sagt er immer wieder. Zudem war und ist er ja der Meinung, dass Musik Leute nicht "beruhigen", ihnen nicht "Erholung verschaffen" soll. Es gehe ums Augenöffnen, Aufrütteln, sogar Erschrecken. Natürlich ist mittlerweile evident: Harnoncourts Kunst ist überraschend vielschichtig, sein Zugang reduziert sich nicht auf ruppige Klangrede. Mittlerweile kann man bei ihm auch über langsame Tempi staunen und - wenn es angebracht scheint - ein poetisches Aussingen von Linien.

Was die Metronomangaben Beethovens anbelangt, ist Harnoncourt der Meinung, dass sie ernst zu nehmen sind. Allerdings sei man damit nicht der Pflicht entbunden, als Interpret auch die Rahmenbedingungen einer Aufführung als Kriterium zu beachten. Die Tempi müssen immer ins Verhältnis zum Aufführungsraum und der Besetzungsgröße gestellt werden.

Das Sprachliche

In jedem Fall aber eine Harnoncourt-Konstante - die Musik als Sprache aufgefasst: "Ich glaube, dass Musik für mich immer eine Sprache war, vielleicht war mir das Sprachliche in der Musik schon mit fünfzehn Jahren bewusst, als ich zum ersten Mal gesehen habe, wie wichtig Rhetorik für Beethoven war."

Was von Harnoncourt ebenfalls nie zu haben ist? Musikalische Verharmlosung. Schon als Orchestermusiker hat es ihn irritiert, wenn das Publikum bei Mozarts g-Moll-Symphonie "zu grinsen begonnen" hat und das Werk auch durch Dirigenten allzu leicht genommen wurde. Nach einem solchen Erlebnis hatte er ja beschlossen, als Orchestermusiker aufzuhören. Seitdem hat er mitunter Musikgeschichte geschrieben, nach dem Motto: "Bedeutendes gibt es nur an der Grenze des Möglichen." (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, Printausgabe, 08.06.2007)