"Lobby Chair ES 104"

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"Children's Stool"

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Regal "ESU Bookcase"

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Sofa "Compact"

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Die Vitra-Neuheit "Plywood Elephant"

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Vitra-Chairman Rolf Fehlbaum

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Neben dem runden Geburtstag von Charles Eames gibt's noch ein Jubiläum. Vor 50 Jahren begann die Zusammenarbeit zwischen dem Möbelhersteller Vitra und Ray und Charles Eames: 1957 verließen die ersten von Vitra in Lizenz gefertigten Möbel des amerikanischen Designer-Paars die Fabrik in Weil am Rhein. Das Doppeljubiläum nahm Vitra zum Anlass, den Eames mit einer Reihe von Aktivitäten die Ehre zu erweisen. Auftakt macht die Schau "Die Möbel von Charles und Ray Eames – Produkte, Prozesse, Prototypen". Die Ausstellung in Zaha Hadids Feuerwehrhaus auf dem Vitra-Werkgelände in Weil am Rhein (bis 26. August) gibt einen Einblick in die Entwurfsgeschichte von zahlreichen Klassikern aus dem Hause Eames.

DER STANDARD: Herr Fehlbaum, Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich bei wichtigen Entscheidungen fragen würden: Was würden Charles und Ray dazu sagen? Wie fänden die beiden den Schauplatz der Schau, das Feuerwehrhaus von Zaha Hadid?

Rolf Fehlbaum: Charles Eames wären einige Gebäude auf dem Vitra-Gelände zu expressiv, sicher auch der Bau von Zaha Hadid. Denn er hatte eine an den konkreten Bedürfnissen orientierte Architekturauffassung. Er war davon überzeugt, dass ein Bau oder ein Produkt möglichst wenig Selbstausdruck des Autors haben sollte. Die Frage, was würden Charles und Ray sagen, dient mir aber vor allem dazu, etwas zu überprüfen. Wir leben in einer anderen Zeit als die Eames. So sind wir heute der Auffassung, dass eine Collage unterschiedlicher Objekte – wie auf unserem Werkgelände – durchaus zu einem guten Resultat führt.

DER STANDARD: Das Prinzip der Collage war ja auch ein Prinzip der Eames.

Rolf Fehlbaum: Ja, sie beherrschten die Kunst der Kombination perfekt. Dass ein Wohnbereich ein Sammelsurium aus Alt und Neu, Gebraucht und Gekauft sein kann, habe ich auf meiner ersten USA-Reise 1960 bei den Eames in Los Angeles gesehen. Dieser entspannte Umgang mit dem Wohnen – ganz anders als die Strenge der europäischen Moderne – hat mich fasziniert. Viel später haben wir das Collage-Prinzip in unserer Home Collection wieder aufgegriffen. Da gilt nicht das Vorbild der Wohnung aus einem Guss, vielmehr die Empfehlung, seine persönliche Collage zu kreieren.

DER STANDARD: War diese erste Amerika-Reise eine Art Initiation?

Rolf Fehlbaum: Es war eine prägende Zeit für mich. Ich war dabei, als die Eames Ende der 1950er-Jahre nach Europa kamen. Aber da war ich mehr ein staunender Beobachter. Als 19-Jähriger habe ich auf meiner Reise dann George Nelson, dessen Produkte mein Vater auch in Lizenz produzierte, näher kennen gelernt. Er hat mir die Welt des Designs intellektuell nahegebracht. Natürlich fand ich die Eames fantastisch, aber ich habe sie mehr über ihre Produkte und ihren Lebensstil wahrgenommen.

DER STANDARD: Sie sagten einmal, die Gestaltung der Eames war wie eine Botschaft von einem anderen Planeten.

Rolf Fehlbaum: Das Zitat stammt von der britischen Architektin Alison Smithson, die mit den Eames befreundet war. Für die Nachkriegsgeneration waren die Entwürfe der Eames tatsächlich wie von einem anderen Planeten. Ihre Bedeutung war sofort klar: 1945 kamen die ersten Möbel heraus, bereits ein Jahr später hatten die Eames ihre erste Ausstellung im Museum of Modern Art in New York. Es war offensichtlich, dass die Arbeit der Eames etwas Neues war.

DER STANDARD: Dies hat auch Ihr Vater gleich erkannt.

Rolf Fehlbaum: Er war fasziniert, als er 1953 aus einem Taxi heraus in New York erstmals einen Eames-Stuhl sah. Da er ein sehr technisch orientierter Mensch war, hat er sofort verstanden, dass diese dreidimensional verformten Sperrholz-Schalen und ihre Verbindung mit dem Gestell etwas technisch Unerhörtes waren.

DER STANDARD: Was war denn so unerhört daran?

Rolf Fehlbaum: Die Eames verfügten über einen vorurteilsfreien Blick auf die Welt. Sie sahen das Potenzial neuer Materialien, sie stellten Querverbindungen zu Verfahren her, die aus einer anderen Welt kamen, wie etwa der Flugzeugindustrie. Das eigentliche Wunder war aber, dass daraus Ingenieursmöbel entstanden, die dennoch emotionale Anforderungen befriedigten. Diese Kombination aus technischer Anmutung mit einer organischen Formensprache hatte man nie zuvor gesehen – eben wie von einem anderen Planeten.

DER STANDARD: War dieses Denken in Technikkategorien so fundamental neu?

Rolf Fehlbaum: Dieses vorbehaltlose Experimentieren mit neuen Materialien und Techniken war neu. Neu war aber auch, dass die Eames die Produktion im Blick hatten. Sie produzierten selbst und konnten so jeden Entwurf in der Realität überprüfen, verwerfen oder vorantreiben. Das Resultat ist eine vorher im Möbeldesign nicht gesehene technische Brillanz.

DER STANDARD: Was macht die Eames zu Vorbilddesignern des 20. Jahrhunderts?

Rolf Fehlbaum: Vor den Eames standen Designer meist im Dienste des Konsums, sie waren Verschönerer. Die Eames dagegen wollten das Produkt nicht appetitlicher machen, sondern sie verstanden sich als Problemlöser. Die ästhetische Komponente spielte natürlich eine Rolle, aber keineswegs die einzige. Und sie waren Universaldesigner – sie haben zwar einige der wichtigsten Möbel des 20. Jahrhunderts designt, aber auch Bauten realisiert, Filme gedreht, Ausstellungen inszeniert, Spielzeug entworfen und sogar für die indische Regierung einen Bericht zur Zukunft des Designs abgeliefert. Sie waren universale Problemlöser, das Ideal eines Designers.

DER STANDARD: Die Eames haben also das Rollenverständnis des Designers verändert?

Rolf Fehlbaum: In jedem Fall. Ihnen war durchaus bewusst, dass sie etwas Neues geschaffen hatten. Charles und Ray Eames waren Kultfiguren. Sie haben das Rampenlicht genossen und verstanden es, sich zu inszenieren. Ihre Kleidung erinnerte an die amerikanische Pionierzeit, Ray mit ihren trachtenartigen Kleidern und Charles mit seiner Vorliebe für hochwertige, traditionelle Stoffe.

DER STANDARD: Sie bezeichnen das Design der Eames als Moskito-Design. Warum?

Rolf Fehlbaum: Nach dem Architekten Louis Kahn gibt es zwei Arten des Designs: das Moskito- und das Elephant-Design. Das kann man an zwei für uns wichtigen Designern festmachen, an den Eames und an Verner Panton. Die Eames untersuchen jedes Teil eines Stuhls für sich, von der Rückenschale bis zum Fuß. Jedes Element wird für sich optimal gelöst, erst dann wird es zu einem Ganzen zusammengefügt. Diese Verbindung spielt dann eine zentrale Rolle. Das Elephant-Design dagegen ist von einem übergreifenden formalen Konzept getragen, das Resultat sind monolithische Objekte wie der Panton Chair. Diese Designhaltung ist oft ikonischer, das Moskito-Design erfüllt dafür meist die Funktionen erfolgreicher. Im Glücksfall, wie bei den Eames, ist es ikonisch und gleichzeitig funktionsbestimmt.

DER STANDARD: Auch heute bewegt uns das Werk der Eames immer noch. Woran liegt das?

Rolf Fehlbaum: Es handelt sich um Klassiker. Darunter verstehe ich Objekte, die noch heute, also Jahrzehnte nach ihrer Entstehungszeit, als zeitgenössisch empfunden werden. In der Zeit ihres Entstehens waren die Objekt eine überzeugende Lösung eines neuen Problems, oder sie lösten ein altes Problem mit neuen Mitteln. Diese Position hält das zum Klassiker gewordene Objekt trotz der Anfechtungen durch nachfolgende Produkte. Der Klassiker begann aber nicht als solcher, vielmehr brach er mit dem Kanon der Vergangenheit. Ein Klassiker beginnt also als Häresie, er ist das Zeichen einer neuen Epoche. Diese ersten Entwürfe einer neuen Zeit haben eine Kraft und eine Frische, die spätere Entwürfe meist nicht mehr haben. Das revolutionäre Produkt wird mit der Zeit selbst Teil eines neuen Kanons.

DER STANDARD: Ein Verdrängungsprozess?

Rolf Fehlbaum: Eher ein natürlicher Ausleseprozess: Neue Produkte stoßen auf einen beschränkten Markt. Jedes neue Produkt versucht dabei, das alte zu entthronen – ein Kampf der Nachkommen gegen das Erfolgsmodell. Produkte, die den ständigen Kampf des Neuen gegen das Alte über Jahrzehnte überleben, werden eben Klassiker. Es ist ein Survival of the Fittest.

DER STANDARD: Sie lancierten vor kurzem Eames "Plywood Elephant" von 1945 . Eine Wiederentdeckung?

Rolf Fehlbaum: Der aus dreidimensionalem Schichtholz geformte Elefantenhocker ging nie in Produktion, weil die Herstellung zu teuer war. Erst eine neue Sichtweise hat uns die Herstellung erlaubt: Wir bringen ihn als limitierte Edition und damit als Sammlerstück heraus. Aus dem Kinderspielzeug wird eine Kleinskulptur.

DER STANDARD: Hätte das den Eames gefallen?

Rolf Fehlbaum: Ich glaube, es hätte ihnen gefallen, dass dieses Objekt aus der Verbannung in die Öffentlichkeit kommt. Vielleicht würde Charles zwar fragen, ob man ihn nicht aus einem anderen Material machen könnte, so dass er doch als Spielzeug realisiert werden könnte. Das würde aber heißen, dass man den Elefanten stark verändert. Das hätte aber nur Charles selbst machen dürfen.

DER STANDARD: Sie haben immer wieder Eames'sche Preziosen ans Licht gefördert. Wie viele solcher Schätze gibt es noch?

Rolf Fehlbaum: Vor zehn Jahren war ich der Meinung, dass wir nun alles kennen würden. Man entdeckt im Werk der Eames jedoch immer wieder etwas Neues. Es gibt noch ein paar Ideen, die im Verborgenen ruhen. (Andrea Eschbach/Der Standard/rondo/08/06/2007)