Nicht die bequemsten Plätze hoch droben auf dem Immofinanz-Turm, und nicht die billigsten

Das Turm
Wienerbergstr. 7
1100 Wien
Immofinanztower
22. und 21. Stock
+43 1 607 65 00
www.dasturm.at

Zwei Fünfgänger mit Weinbegleitung plus Kaffee und ein Extra-Glas Steinzeiler von Kollwentz: 226.40 Euro.

Das Turm
Schwere Zeiten für das Turm. Wenn man von einem der schwüleren Maitage hochrechnet auf Hochsommertemperaturen ganz oben im Immofinanztower auf dem Wienerberg. Es war schon im Mai brüllend heiß, als Herr Grabenweger und ich uns in lichte Höhen aufmachten. Und die Klimaanlage spürbar überfordert.

Molekulare Käsekrainer

Eigentlich hatten wir einen Stock (und einige Gänge sowie einige Euros) weniger anvisiert. Der Plan: ein paar mehr oder minder molekulare Häppchen (Cocktail-"Espumas", vielleicht flüssige Mozzarellabällchen und sphärische Olive, Beef tartare im Gelee seiner eigenen Kraftsuppe sowieso, scharfe Chorizo mit Kaffeeblütenhonig wahrscheinlich auch). Und dann nach den Appetizern auf zum Würstelstand, um den Ruf der Käsekrainer, praktisch der urwienerischen Molekularküche, zu retten vor den ketzerischen Zweifeln Jakob Winterbergers.

Allein: Die Reservierung in der Turmbar, sehr freundlich ein paar Tage zuvor am Telefon entgegengenommen, ging ins Leere. Eigentlich ja ins Volle: Geschlossene Gesellschaft wegen Vernissage, erfahren wir an Ort und Stelle. Also Pustekuchen mit sphärischer Olive. Der molekulare Schaum bleibt vor dem Mund, statt sich seiner Bestimmung zu nähern.

Dass wir auf einen Stock höher umdisponieren, bringt uns a) einen wirklich heißen Abend mit b) streckenweise sehr spannender Versorgung, zudem c) immerhin zum Trost in Sachen Turmbar ein Glas Champagner, aber d) natürlich vom späteren Weg zum Würschtler definitiv ab.

Zunge und Hals

Wahrscheinlich war das Projekt, jeweils fünf Gänge zu verputzen, an dem Tag zu ambitioniert. Bernie Rieder meinte es auch portionstechnisch wirklich gut mit uns. Und ich Gierhammel entschloss mich zudem für eine Fünfgangvariante nach dem Motto: volles Programm bis inklusive Hauptspeise - mit Kindereien wie Dessert statt des Fischgangs geb ich mich doch nicht ab.

Dreierlei Entenjause in drei großzügig dimensionierten Gläsern - in aufsteigender Reihenfolge: Beim Gelee von der gesurten Zunge und geräucherten Brust des Tieres war mir Süßverächter das Mango-Safrankompott zu dominant. Die Creme brulee von der Entenstopfleber mit Portweingelee deutlich sympathischer. Entenzungen und Hals als Ragout (heißt sicher viel eindrucksvoller): wow!

Käse oder Sur

Die Schweinsbratenessenz bestimmt gut - aber halt aus. Die Jakobsmuschel in geschmortem Radicchio mit Topinamburchips und -schaum bemüht sich redlich, kann sie aber in meiner Geschmackswelt nicht wirklich ersetzen. Der Zander im Zucchiniwickel auf dicker, würziger Tomatensauce schmeckt seltsamerweise ein bisschen käsig, ohne davon laut Beteuerungen gesehen zu haben. Vielleicht hab ich Dilettant das Gesurte an der Paradeissauce geschmacklich missverstanden. Dazu extra Topfengnocchi mit allerzartesten Calamaristückchen.

Diese Mollusken hätte ich ungern ausgelassen. Aber spätestens hier erinnere ich mich an Rieder im Hunyadi in der Krieau. Schon damals hochgelobt, aber für meinen bescheidenen Geschmack einfach zuviel auf einem Teller. Aber: Die Kombinationswut hat sich eingebremst, wurde harmonischer, erwachsener, scheint mir. Auch wenn der noch immer um keine olympische Idee verlegene Bernie Rieder das Wort erwachsen vielleicht nicht so gern hört. Er wirkt auch in seiner mobilen Kochsendung ("Mo Cooking"), die derzeit im Rahmen des Handy-TV-Pilotversuchs läuft, nicht danach.

Die Gier treibt weiter

An dieser Stelle (dem Zander, nicht dem Handy-TV) hätte ich einfach abwinken sollen. Aber die Gier treibt zum Hauptgang, und die Flugente war leider aus. Also Kalb im Brotmantel mit panierter Stelze und viererlei Petersilie, weil sich der Herr Grabenweger fürs Lamm entschied. In meinem Sättigungszustand wirkt das Kalb fein, aber fad, immerhin die Sauce kräftiger, der Brotmantel sehr detailverliebt geschmückt, die Stelze trotz Panier ein netter Happen.

In einem Anfall von Bescheidenheit hatte ich die kleine (also mit 36 Euro etwas günstigere) Weinbegleitung gewählt, unter anderem mit der Hauscuvee "Dankbarkeit" in Rot von Josef Lentsch 05 zur Tomatensauce des Zanders, Traminer 03 von Markowitsch zur Jakobsmuschel. Herr Grabenweger entschied sich für die "Sommelier Weinbegleitung" und das andere Menü. Was er damit (ebenfalls schwitzend) erlebte, schildert er Ihnen am besten selbst:

Die Niedertemperaturgarung des Gastes

Ja, die Hitze. Innerhalb von 5 Minuten transpiriere ich, als ob ich die 22 Stockwerke zu Fuß bewältigt hätte. Wie soll das erst im Juli und August werden, wenn sich die Hitze jetzt schon dröge und schwül breitmacht und sogar die muskulär durchaus bewältigbare Aufgabe, die Gabel zum Mund zu führen, zur Anstrengung werden lässt? Die darauf drapierten Speisen sind diese Herausforderungen allemal wert.

Sellerietascherl mit Gänseleber liess die Erwartungen für das Weitere schon einmal steigen. Die Flusskrebse in Chorizofond in der Erdäpfelgulaschvariante waren nicht ganz so intensiv wie erwartet. Die Krustentiere mussten dafür nicht vor spanischer Wurst kapitulieren. Das geschmorte Schweinsbackerl gelierte sich nett und relativ bodenständig über die Zunge. Das Lamm mit Herbsttrompeten war kombinatorisch gelungen und sehr gut, das als Seitengang servierte Lammbeuschel mit Grießknödel meiner Gaumenpräferenz noch einmal näher. Die Käse von Jungziege über Rotschmier bis Grünschimmel präsentierten sich in einem hierzulande leider immer noch nicht selbstverständlichen Reifegrad.

Die Kombinationsfreude geht ab und an vielleicht ein bisschen zu Lasten der Präzision, aber zum Herummäkeln am Essen besteht kein Grund. Die Weinbegleitung war sowohl dem Essen als auch dem Preis angemessen.

Gänsefüßchen auf der Karte statt auf dem Teller

Ich weiß schon: selber den finnischen Käse nicht richtig schreiben können, aber über Speisekartenorthographie lästern, werden Sie jetzt einwenden, aber die Verwendung von Anführungszeichen nimmt allgemein und insbesondere auf Speisekarten ein Ausmaß an, das dem Deppenapostroph um nichts nachsteht. Flusskrebs-Chorizofond als "Erdäpfelgulasch" mit Majoran will ich ja noch durchgehen lassen, "der Zitronenfisch" würde ohne Anführungszeichen mindestens ebensogut schmecken und bei den "Ideen zur Pina Colada" nehme ich instinktiv die Alternativvariante Käse.

Unbequemer Ausblick

Zweifellos das größte Kapital des Lokalambientes ist der Ausblick. Der ist in Wien in Kombination mit gutem Essen wohl einmalig. Die Lokalästhetik schwankt ein bisserl zwischen internationalem Hotelrestaurant und doch etwas bemüht und bieder wirkend (eigentlich eh kein Widerspruch). Hier würden sich wohl Jelo und der Schurl treffen, wenn Out of Sight in Wien spielte.

Da die Außentische mit der besten Sicht besetzt waren, mussten wir im Infield Platz nehmen. Man sitzt dort ziemlich unbequem und rutscht mit den Pölstern hin und her. Die Tische sind für zwei zu groß. Herr Fidler und ich hatten zwar nicht die Absicht, körperliche Intimitäten auszutauschen, aber anschreien wollen wir uns im Normalfall eigentlich auch nicht.

Das Service war freundlich, kompetent und bemüht, die kleineren Widrigkeiten bei unserem Besuch auszugleichen, wenn auch niemand mit dem Palmwedel bereitstand, um uns Luft zuzufächeln, was zweifellos zu dekadent, aber in der aktuellen Situation äußerst angenehm gewesen wäre.