Schematische Darstellung des "CO2-Walds der Österreicher": Schläuche versorgen die Bäume mit mehr Kohlendioxid als üblich, wodurch untersucht wird, wie die Blätter und die sie fressenden Raupen darauf reagieren.

Illustration: DER STANDARD/Fatih/Schafellner
Wissenschafter aus Österreich erforschen, wie sich die künftige Erhöhung des Kohlendioxid-Gehalts in der Luft auf die Bäume und ihre Bewohner auswirkt. Die Zusammenhänge zwischen den Blättern, blattfressenden Raupen und Raupen fressenden Wespen sind dabei alles andere als einfach.

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In den letzten Jahren macht das Treibhausgas Kohlendioxid vor allem als Motor des Klimawandels von sich reden. Dabei wird oft übersehen, dass es auch jener Nährstoff ist, der entscheidend das Wachstum der grünen Pflanzen bestimmt. Damit besitzt es auch das Potenzial, eingespielte Verhältnisse zwischen Pflanzen und deren Nutznießern durcheinander zu bringen – ein Potenzial, von dem wir jedoch noch sehr wenig wissen.

Laut jüngsten Schätzungen wird der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre bis Ende des Jahrhunderts auf mindestens 550 ppm (das heißt von einer Million Teilchen wären 550 CO2-Teilchen) anwachsen, was einer Verdoppelung gegenüber den Verhältnissen vor der industriellen Revolution darstellt. Selbst wenn das Klima davon unbeeinträchtigt bliebe, wäre allein die düngende Wirkung von so viel mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre Grund genug, einen Blick auf die zu erwartenden Folgen zu werfen.

Mit dem Kran im Wald

Christa Schafellner vom Department für Wald- und Bodenforschung an der Universität für Bodenkultur Wien widmet sich dieser Thematik seit drei Jahren im Rahmen eines FWF-Projektes in einem ganz speziellen Wald in der Schweiz. In einem Mischwald nahe Basel hat das Botanische Institut der dortigen Universität nicht nur einen 45 Meter hohen Kran errichtet, der den Forschern Zugang zu den Baumkronen verschafft, sondern auch etwas geschaffen, was die Schweizer Botaniker eine „CO2-Zone“ nennen.

Seit 2001 werden dabei 14 Laubbäume verschiedener Arten über bis in die Wipfel reichende Schläuche mit zusätzlichem Kohlendioxid begast. Damit werden Verhältnisse erzeugt, wie sie in rund 70 Jahren zu erwarten sind, wenn der CO2-Ausstoß bis dahin ungebremst weitergeht. Was passiert unter diesen Umständen? Den Bäumen steht mit dem erhöhten Kohlendioxidgehalt mehr Grundstoff für die Fotosynthese zur Verfügung, bei der CO2 und Wasser in Zucker umgewandelt werden. Bei ausreichender Versorgung mit Wasser und Licht läuft dieser Vorgang zwar von selbst ab, die Pflanzen brauchen dazu jedoch auch verschiedene Mineralstoffe, die über die Wurzeln geliefert werden, allen voran Stickstoff. Ist im Vergleich zum Kohlendioxid, das „verarbeitet“ werden muss, wenig Stickstoff vorhanden, erhält jedes einzelne Blatt weniger davon als normal.

Stickstoff jedoch ist genau das, was blattfressende Insekten vorrangig aus ihrer Nahrung beziehen. Nehmen etwa Schmetterlingsraupen zu wenig davon auf, werden sie in ihrer Entwicklung gehemmt. Um dieses Defizit auszugleichen, können sie entweder in derselben Zeit mehr Blätter fressen oder die bisherige Dosis über einen längeren Zeitraum. In beiden Fällen ist der Baum der Leidtragende.

Von manchen Bäumen weiß man, dass sie darauf mit der verstärkten Einlagerung von kohlenstoffhältigen Abwehrstoffen reagieren. Das bedeutet, dass die Insekten bei erhöhtem Blattverzehr auch jede Menge dieser Abwehrstoffe aufnehmen, was wiederum negative Folgen für ihre Entwicklung haben kann.

Wie dieses Wirkungsgefüge bei erhöhtem Kohlendioxid tatsächlich abläuft, nimmt Christa Schafellner im Basler CO2-Wald unter die Lupe. Ihr Studienobjekt ist ein ebenso alter wie gefürchteter Bekannter der Forstleute, nämlich der Schwammspinner, ein in ganz Europa verbreiteter Schmetterling, dessen Raupen bevorzugt an Blättern von Eichen fressen, gerne aber auch an Buche, Hainbuche, Weide, Pappel und verschiedenen Obstbäumen.

In Österreich ist sein Vorkommen auf die Eichenmischwälder im Osten des Landes beschränkt. Ungeliebt ist der Schwammspinner wegen seiner enormen Vermehrungsraten: Ein einziges Weibchen legt 300 bis 700 Eier, sodass der Bestand unter günstigen Umständen sprunghaft ansteigen kann. Alle zehn bis zwölf Jahre kommt es aus weit gehend ungeklärten Ursachen zu Massenvermehrungen, im Zuge derer die Raupen ihre Futterbäume völlig kahl fressen.

Spinner und Wespen

Natürliche Gegenspieler wie parasitische Schlupfwespen, die die Raupen für die Aufzucht ihrer eigenen Nachkommenschaft (miss)brauchen, sorgen für eine natürliche Begrenzung der Raupenplage: Schlupfwespen legen ihre Eier in die Körperhöhle der Raupen, die für die daraus schlüpfenden Larven als lebender Brutkasten fungieren: Die Schlupfwespen-Larven fressen die Schmetterlingsraupen langsam von innen heraus auf. Haben sie ihre eigene Entwicklung abgeschlossen, schlüpft aus der sterbenden Raupe die neue Wespengeneration.

Dass unter diesen Umständen alles, was sich auf die Raupen auswirkt, auch Einfluss auf ihre natürlichen Gegenspieler hat, liegt auf der Hand. Entsprechend untersucht Christa Schafellner bei ihrem CO2-Szenario nicht nur die Wechselwirkungen zwischen Bäumen und Schwammspinnern, sondern auch die mit einer Schlupfwespenart.

Im Zuge des Projektes werden die Inhaltsstoffe von Blättern CO2-begaster und nicht begaster Bäume analysiert und Auswirkungen der verschiedenen Nahrung auf die Schwammspinner-Raupen erforscht, wobei die Versuche jeweils mit gesunden und parasitierten Raupen durchgeführt werden.

Erste Ergebnisse zeigen erstaunliche Widersprüche: Raupen, die in der Krone von CO2-begasten Eichen fraßen, wiesen ein um 30 Prozent reduziertes Wachstum gegenüber der Kontrollgruppe auf, hingegen ein um 29 Prozent erhöhtes Wachstum, wenn sie sich an Hainbuchen mit erhöhtem Kohlendioxid gütlich taten. Bei Buchen zeigte sich weder in der einen noch in der anderen Richtung ein eindeutiger Trend. Der Kohlenstoff- bzw. Stickstoff-Gehalt allein kann die unterschiedliche Reaktion der Raupen nicht erklären. Die Ursachen sehen die Forscher im Verhältnis zwischen Stärke und Stickstoff, dem Wassergehalt und den jeweiligen Konzentrationen von Proteinen und Abwehrstoffen der Bäume wie den Tanninen, die sich unter erhöhtem Kohlendioxid in jeder Baumart anders verhalten.

Keine Lust auf Eichen

Bei steigendem CO2-Gehalt der Atmosphäre könnten die Schwammspinner ihre Vorliebe für Eichen verlieren und andere Baumarten bevorzugen, die ihnen günstigere Entwicklungsbedingungen bieten. Die Schmetterlinge (und ihre Parasiten) sollten also flexibel genug sein, sich dem steigenden Kohlendioxidgehalt anzupassen.

Sehr wohl werden die Insekten jedoch von den mit dem Klimawandel einhergehenden steigenden Temperaturen profitieren und auf ihre Futterpflanzen enormen evolutiven Druck ausüben. Wie dramatisch der sein wird, bleibt abzuwarten. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 6. Juni 2007)