Carl Baudenbacher

Das Gespräch führte Heike Hausensteiner.

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STANDARD: Der Efta-Gerichtshof ist für die EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein zuständig. Neue EU-Mitgliedsstaaten treten auch dem EWR bei. Hat sich Ihre Arbeit durch die EU-Erweiterung verändert?

Baudenbacher: Überhaupt nicht. Wir entscheiden schneller als der Europäische Gerichtshof (EuGH). Dort dauert ein Vorabentscheidungsverfahren im Schnitt zwei Jahre, bei uns ist es in sechs Monaten vorüber.

STANDARD: Vergangene Woche hat der Efta-Gerichtshof ein wichtiges Urteil gegen norwegische Staatsmonopole bei Glücksspielen und Sportwetten verkündet (siehe Artikel unten). An dem Fall hatten sich auch neun EU-Mitgliedstaaten beteiligt. Warum eigentlich?

Baudenbacher: Vom Urteil in der Rechtssache Ladbrokes gegen Norwegen ist ein gewisser Impuls für die laufenden Verfahren vor dem EuGH zu Glücksspielen zu erwarten. EU-Mitgliedsländer können vor dem Efta-Gerichtshof eine Stellungnahme abgeben, von diesem Recht machen zahlreiche Mitgliedstaaten immer häufiger Gebrauch. Österreich war übrigens noch nie dabei.

STANDARD: Sind die europäischen Gerichte kommunizierende Gefäße, wobei der EuGH die höchste Autorität hat?

Baudenbacher: Natürlich ist der EuGH primus inter pares, soweit es um das Verhältnis zum Efta-Gerichtshof geht. Aber wir haben in Europa in der Zwischenzeit einen intensiven Dialog zwischen den Gerichtshöfen, insbesondere zwischen dem EuGH und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. In über hundert Fällen hat sich der EuGH auf die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs berufen. Aber es gibt auch zahlreiche Fälle, in denen der Efta-Gerichtshof mit einem Rechtsproblem zuerst befasst wird und der EuGH sich dann auf uns bezieht.

STANDARD: Der Efta-Gerichtshof muss sich aber laut EWR-Abkommen an Homogenitätsregeln, also Verhaltensregeln, halten, wonach Sie dem EuGH folgen sollen. Sehen Sie sich manchmal dennoch als Stachel im Fleisch?

Baudenbacher: Nur bei der internationalen Erschöpfung des Markenrechts waren wir gewissermaßen der Stachel im Fleisch und haben anders entschieden als der EuGH. Die Homogenitätsregeln binden uns vor allem an das Ergebnis, in der Begründung sind wir freier. Das Judizieren ist keine exakte Wissenschaft.

STANDARD: In Europa soll ein Gerichtshof für Kompetenzfragen eingerichtet werden, hat der deutsche Ex-Bundespräsident Roman Herzog angeregt. Was halten Sie davon?

Baudenbacher: Überhaupt nichts, das ist völlig überflüssig. Wir haben ohnehin schon eine sehr komplizierte Struktur mit den Gerichten in Straßburg und in Luxemburg. Aber offenbar fühlt sich Deutschland durch die EuGH-Rechtsprechung mitunter in seiner Souveränität eingeschränkt.

STANDARD: A propos Souveränität: Sie sind Schweizer. Die Schweiz hat die wirtschaftliche Integration in die EU über bilaterale Abkommen erreicht. Sie kann das EU-Recht nicht mitbestimmen, das Schweizer Bundesgericht muss aber dem EuGH, also fremden Richtern, folgen.

Baudenbacher: Der bilaterale Weg ist der kleinste gemeinsame Nenner. Ökonomisch läuft es sehr gut und die Schweizer sind gut im Organisieren und haben eine effiziente Verwaltung …

STANDARD: … und haben per Volksabstimmung einer Milliarde Franken (632 Mio. Euro) als Hilfe für die östlichsten EU-Mitgliedsländer zugestimmt. Ein EU-Beitritt wird aber abgelehnt. Warum diese Widersprüchlichkeit?

Baudenbacher: Da ist eine gewisse Bewusstseinsspaltung feststellbar, verbunden mit einer tief sitzenden Angst auch vor fremden Richtern. Der Neutralitätsglaube sitzt tiefer als in Österreich, weil er sich in der Schweiz über Jahrhunderte entwickelt hat.

STANDARD: Mit der EU schwelt ein Konflikt über die niedrigen Schweizer Steuersätze, die vor allem Frankreich und Deutschland als wettbewerbswidrig kritisieren …

Baudenbacher: … zum Steuerstreit kann ich als Efta-Richter nichts sagen.

STANDARD: Aber es heißt, die EU hat den Steuerdruck auf die Schweiz just am Tag nach der Zustimmung zur Kohäsionsmilliarde erhöht. Stimmt der Eindruck, dass die Osthilfe von der EU-Kommission erpresst wurde?

Baudenbacher: Den Schweizern war offenbar klar, dass die bilateralen Abkommen mit der EU nicht gefährdet werden durften. Der politische Link ist natürlich immer da. Das ist das tägliche Geschäft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6./7.6.2007)