Kurt Palm

Foto: Michaela Mandel
Wir wollen der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben", verkündete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich aus Anlass des G8-Treffens in der Ortschaft Heiligendamm in Mecklenburg-Vorpommern und machte gleich Ernst mit ihrer Drohung, indem sie zum Schutz ihrer Gäste einen zwölf Kilometer langen und 2,5 Meter hohen Metallzaun, Stacheldrahtauflage, errichten ließ. Da es in der Gegend um Heiligendamm blöderweise sehr viele Kaninchen gibt, musste dieser Zaun zusätzlich mit einem 50 Zentimeter unter die Erde reichenden Unterkriechschutz versehen werden, denn schließlich sollen die 16.000 Sicherheitskräfte zwischen dem 6. und 8. Juni nicht Kaninchen, sondern Demonstranten jagen. 16.000 Sicherheitskräfte – das bedeutet, dass jeder der acht Teilnehmer von 2000 Beamten geschützt wird. Wovor eigentlich? Vor der Bevölkerung? Vor den Kaninchen? Oder vor der eigenen Paranoia?

Gespannt darf man jedenfalls sein, wie sich die Einsatzkräfte gegenüber den Demonstranten verhalten werden, zumal dieses gespenstische Zusammentreffen fast auf den Tag genau vierzig Jahre nach der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten stattfindet. Der damalige Polizeipräsident von Westberlin, Erich Duensing, beschrieb nach dem brutalen Einsatz seiner Beamten gegen die Demonstranten die Taktik der Polizei so: "Wir haben die Leberwurstmethode angewandt: In der Mitte drücken, damit die Wurst an den Enden platzt." In Heiligendamm wird diese "Leberwurstmethode" wohl kaum mehr zur Anwendung kommen, da die Demonstrationen nur auf einem von der Polizei mit Wasserwerfern, Gittern und Stacheldraht großräumig abgesperrten Areal stattfinden dürfen. Nebenbei:

Falls Sie in Ihrem Privatbereich auch einmal eine Absperrung benötigen, können Sie ein so genanntes "Hamburger Gitter", das mit einer 61 Zentimeter tiefen Auftrittsklappe versehen ist, zum Preis von 3,20 Euro pro Tag bei "Party-, Messen- und Eventausstattern" mieten. Das "Hamburger Gitter" soll jedenfalls stabiler sein als das "Mannheimer Gitter", das nur über Metallstandfüße verfügt und so leichter umgeworfen werden kann. Sie sehen, man lernt nie aus.

Auch zum Thema Stacheldraht habe ich noch einen Tipp für Sie parat: Falls Sie einmal nach McLean im US-amerikanischen Bundesstaat Texas kommen sollten, besuchen Sie unbedingt das "Devil’s Rope Museum", in dem Sie ausführlich über die Geschichte des Stacheldrahtzauns informiert werden. Die Indianer bezeichneten ihn als "devil’s rope", also "Teufelsseil", weil seine großflächige Anwendung ihren Lebensraum endgültig zerstörte. Zum Patent angemeldet wurde der Stacheldraht selbstverständlich in den USA, und zwar am 24. November 1874 vom Unternehmer Josef F. Glidden.

Franz Kafka hatte also wahrscheinlich Recht, als er einmal in sein Tagebuch notierte: "Der Mensch ist eine ungeheure Sumpffläche." Aber auch den G8-Gipfel in Heiligendamm könnte man unter ein Motto stellen, das sich in Kafkas Tagebuch findet: "Tanzt ihr Schweine weiter; was habe ich damit zu tun."

Damit diese Kolumne aber doch noch versöhnlich endet, hier ein Ausschnitt aus einem Brief, den Kafka am 13. März 1914 an seine Freundin Grete Bloch schrieb: "Liebes Fräulein Grete, wären Sie nicht begierig, einmal Gmünd zu sehn?" So, und jetzt können Sie im Gedenken an Kafkas 83. Todestag am 3. Juni die eine oder andere Kerze anzünden. Ob in Gmünd oder anderswo, ist gleichgültig. (Kurt Palm/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 02./03.06.2007)