Foto: Standstills aus dem Film von Kamen Stoyanov
Foto: Standstills aus dem Film von Kamen Stoyanov
Foto: Standstills aus dem Film von Kamen Stoyanov

Fotos aus dem Film von Kamen Stoyanov. Der bulgarische Filmemacher Kamen Stoyanov, arbeitet an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Der Film wird im Rahmen von Ausstellungen zu sehen sein.

Foto: Standstills aus dem Film von Kamen Stoyanov
Nach über 40 Jahren als „Gastarbeiter“ in Österreich kehren Elez M. und seine Frau Mahidjul schwer krank in das Kosovo zurück. Sie wollen in Prisren Herdelezi das Fest des Schutzheiligen der Roma feiern Die Reise bringt viel Aufregung und Stress mit sich: „Kismet“, sagt Elez M., „Aman devla“, seine Frau. Eine Reportage von Kerstin Kellermann.

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„Kehrt der Herr freiwillig in das Kosovo zurück oder wird er gegen seinen Willen zurück geschickt?“, fragt eine Angestellte am Flughafen Schwechat vorsichtig. Elez M. ist 68 Jahre alt und will nach 44 Jahren als „Gastarbeiter“ in Wien in „seine Heimat“, wie er das Kosovo, in dem er nur ein Drittel seines Lebens verbrachte, noch immer nennt, fliegen. Er freut sich schon auf das große Roma-Fest Herdelezi am Sonntag, dem Heiligen Georg, dem Schutzpatron der Roma, der auch Elez M.s Geburtstag ist. Und auf das Kaffee trinken auf dem Balkon an seinem dreistöckigen Haus. „Sind Sie aus dem Kosovo geflüchtet?“, ist eine andere, oft gestellte Frage. „Nein“, antwortet Elez M. bei dieser Gelegenheit immer, „ich bin mit Arbeitsvertrag gekommen.“

„Damals in den 70er Jahren war mein Vater der erste aus unserer Siedlung in Prizren im damaligen Jugoslawien, der nach Österreich arbeiten gegangen ist. Meine Mutter war im siebten Monat schwanger, als er die Papiere erhalten hat. Er musste sofort gehen, sonst wäre das Visum verfallen. Ihm sind noch andere aus der Siedlung, dem Mahalla, gefolgt“, erinnert sich eine Tochter. Die Entscheidung war klar, erzählt der Vater: „Ich war damals 24 Jahre alt und im Kosovo gab es keine Arbeit.“ Er sei der Einladung nach Österreich gefolgt, um seine fünf Kinder ernähren zu können. „Der Mensch ist hungrig und man verdient gut hier. Ich bin froh, dass meine fünf Kinder in Österreich die Schule besuchen konnten und eine gute Ausbildung erhielten.“ Damals war der Familiennachzug noch kein Problem. Die jüngste Tochter war drei Jahre alt, die älteste zwölf. Der Vater musste viele Strafen wegen versäumter Schulpflicht zahlen, weil sich die Älteste aufgrund der Hänseleien weigerte, in die Schule zu gehen.

Am Flughafen

Elez M. hält, im hellbraunen Leiberl mit der Aufschrift „Südafrika“ drauf und passender beiger Kappe, auf Romanes eine Rede in die Kamera: „Wir sind eine Gruppe von Roma, die am Flughafen Wien Schwechat stehen und darauf warten, dass ich nach Hause fliege. Es erscheint mir wie ein Traum, als sei es nicht wahr, als befinde ich mich in einem Traum. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass ich wirklich nach Hause fliege. Vor vier Monaten wusste ich, dass es zu Ende geht, ich war dem Tode gleich und jetzt und heute habe ich vom lieben Gott die Chance erhalten, meinen Traum wahr zu machen. Vor vier Monaten bin ich vor dem Tod gestanden.“

Es folgt eine Namensaufzählung aller Leute, die ihn beim Abflug unterstützen. Seine Frau und eine Tochter werden mitfliegen. Im Dezember wurde bei Elez M. Lungenkrebs diagnostiziert und er wird heute mit nur einem Lungenflügel fliegen. Wenn er fliegen darf. Denn die Fluggesellschaft AUA, in Gestalt einer rotbekleideten, vornehmen Dame, ist dagegen. Ob der Sauerstoff für die Flughöhe ausreichen wird, ob es nicht zu gefährlich ist, den Passagier mitzunehmen? Erst ein eilig gesendetes Fax vom AKH von einem Herrn Professor persönlich überzeugt die Stewardess. Der AUA-Arzt mit Sitz in Innsbruck gibt sein Okay. Elez M., der während der Warterei endlich wieder seine normale braune Gesichtsfarbe angenommen hat, darf fliegen. Schicksalsergeben setzt er sich in den Rollstuhl.

"Der Papa erhielt einen Besen"

Zwanzig Jahre arbeitete Elez für General Motors in der Abteilung Galvanisierung als „Mädchen für alles“, wie die Tochter sagt. Vorher war er hauptsächlich in der Gastwirtschaft beschäftigt und zwar im alten Restaurant am Westbahnhof, das nicht mehr existiert. Ganz am Anfang war er Straßenkehrer und lebte in einer Art Arbeitslager, das für die neuen „Gastarbeiter“ errichtet worden war. „Am Morgen nach seiner Ankunft in Österreich erhielt der Papa einen Besen“, erzählt die Tochter. „Ich habe nie geschaut, dass ich einen leichten Job kriege“, betont der Vater. „Hauptsache ein Job. Ich musste das Stückchen Brot für die Familie immer festhalten.“ Elez zahlte sogar die hohen Gebühren für die österreichische Staatsbürgerschaft, damit seine Kinder bessere Jobs kriegen: „Schon bei der Lehre war die Staatsbürgerschaft gefragt. Ohne Papiere kannst du heute nicht einmal außer Haus gehen.“

Im Auto

In der Wohnung hängt ein Foto von der Hochzeit an der Wand, die Braut trägt ein nach hinten gebundenes Kopftuch – heute, 50 Jahre später, hat sie eine goldene Brille, einen Knoten im grauen Haar und wischt sich mit beiden Händen die Tränen aus dem Gesicht. Die beiden sind schon über 50 Jahre eng zusammen. „Wenn die Mama so in sich gekehrt ist, versucht sie sich zusammen zu reißen. Sie ist so verbunden mit meinem Vater, dass sie mit ihm die Schmerzen teilt“, sagt die eine Tochter. „Brennen und machen“, ruft Elez. „Brennen und machen!“ Mit dieser Redewendung drückt er aus, dass er immer alles „intern besprochen“ und gemeinsam mit seiner Frau geplant hat - hätten sie sich entschieden, das Haus anzuzünden, hätten sie es auch zusammen getan.

„Im Herbst werde ich heiraten und ich will dich als meinen Trauzeugen haben.“ Die 26jährige Enkelin hat bis kurz vor der Fahrt gewartet, um die große Neuigkeit zu verkünden. Der Opa schaut erstaunt. Wieder zurück? Nach Österreich? Im Herbst? „Opa, bitte! Du kommst zurück. Ich brauche dich.“ Elez nickt resigniert: „Oke.“ Die ganze Fahrt hindurch hält er den Griff an der Autotüre umklammert. „Innerlich habe ich Angst“, gibt er zu, während seine Frau Mahidjul Suren aus dem Koran aufsagt: „Ich übergebe uns in deine Hand… Devla.“

Doppel-Begräbnis

Mahidjul M. ist in schwarz mit dunkelblauer Strickweste gekleidet. Der Sohn ihrer Schwester war vor fünf Jahren verschwunden und als jetzt seine Leiche entdeckt und überführt wurde, erlitt seine Mutter, ihre Schwester, einen tödlichen Schlaganfall. Frau M. fährt also auch wegen des Doppel-Begräbnisses nach Prizren. Die kleine Stadt Prizren mit ihren 30.000 EinwohnerInnen, eine Stunde entfernt von Pristina, war oft im Fernsehen. Über die politischen Unruhen zwischen Serben und Roma will aber niemand reden.

Die 68jährige Mahidjul M. ist seit Monaten Tag und Nacht für ihren Mann da und sehr erschöpft. Sie hat große Angst, Elez zu verlieren, denn er ist alles für sie, „Mann, Bruder, Schwester, bester Freund…“, sagt sie. Am Flughafen läuft Mahidjul dem Rollstuhl mit ihrem Ehegatten hinterher, den ein großgewachsener Österreicher im Eiltempo schiebt, in Richtung Terminal. Durch die langen Gänge wie in einem Albtraum, in dem man immer langsamer wird. Dem Kreislaufkollaps nahe erreicht sie gerade noch das Flugzeug.

Zu Hause

Später, zurück in Wien, zeigt sich die Tochter von den österreichischen KFOR-Truppen im Kosovo begeistert: „Die Burschen waren phänomenal. So habe ich das österreichische Bundesheer noch nie erlebt, ich möchte mich bei denen herzlich bedanken“, jubelt sie geradezu. „Stundenlang habe ich überall gesucht. Du kriegst in ganz Prizren keine Sauerstoffflasche. Die haben meinem Vater das Leben gerettet.“ Die KFOR-Truppe in Suva Reka/Suhareke im Kosovo schenkte Elez M. jedoch eine riesige Sauerstoffflasche mit drei Masken, die er dringend benötigte. Major Wolfgang Schuh und der diensthabende Arzt Arnulf Schwab vom Camp Casablanca, das sich in einem ehemaligen türkischen Spital befindet, handelten schnell. Die KFOR-Flasche für Elez reicht bis Juli. Unterdessen waren aber auch sonst sämtliche Schutzengel des Ehepaares schwer beschäftigt: Während sich die Kinder um den Vater sorgten, erlitt seine Frau einen Herzinfarkt, den sie laut Ärztin „um zehn Minuten“ überlebte. Auch Mahidjul M. hat ihr Leben lang als Bedienerin in verschiedenen Krankenhäusern geschuftet. (Kerstin Kellermann, derStandard.at, 1.6.2007)