Erdmöbel: "No. 1 Hits" (Sony 2007)

Coverfoto: Sony
Foto: Erdmöbel
Ja ja, Gott ist groß, ja ja, Gott ist gut ... Am besten auf den Punkt gebracht ist das Konzept des neuen Erdmöbel-Albums vielleicht bei zwei 90er-Jahre-Nummern, die ihre seltsame Bedeutungsschwangerschaft vor sich hertrugen und trotzdem oder gar deshalb zu Welthits wurden: Joan Osbornes Gott-fährt-Bus-und-nur-der-Papst-ruft-ihn- noch-an-Ballade "One of us" (hier folgerichtig "Einer wie wir") und "Mmm mmm mmm mmm" der Crash Test Dummies, das Lied vom Jungen mit dem nach einem Unfall weiß gewordenen Haar und dem Mädchen mit den vielen Muttermalen. Texte, die eine Menge Fragen aufwarfen, und zwar nicht zuletzt diese: Äh, Entschuldigung? Was will dieses Lied eigentlich von mir?

"Bei Gefahr das Licht ausschalten!"

Erdmöbel haben ein Album aufgenommen, das ausschließlich Coverversionen von Welthits enthält - und es ist die große Leistung der Band aus Köln bzw. ihres Sängers und Songschreibers Markus Berges, Stücke einzudeutschen, ohne sie zu denunzieren. Schnelle Bruhaha-Effekte wären überaus einfach zu erzielen, aber ob eine Übersetzung skurril-komisch oder poetisch ausfällt, liegt in allen Fällen im Original selbst begründet. Seicht oder mit Tiefgang: die Erdmöbel halten dem Original und seiner Intention stets die Treue.

Ob Tom Jones (siehe Titel) als launiger Opener, Kylie Minogue ("Ich krieg-e dich nicht aus meinem Kopf"), Robbie Williams ("Der Weg nach Mandalay") oder Nirvana ("Riecht wie Teen Spirit"): Von reinen Spaßcoverern à la Señor Coconut unterscheiden sich Erdmöbel nicht nur durch ihren Respekt vor dem Original, sondern auch durch die gänzlich schmählose musikalische Umsetzung: Ruhig im Tempo, melancholisch in der Grundstimmung, weitgehend akustisch in der Instrumentierung mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Orgel und Piano. Plus wunderschönen Posaunen-Arrangements von Produzent Ekimas, die die Erdmöbel-Version zu einem der besten Covers von "Smells like teen spirit" machen. Oder dem Pathos-Potenzial des Procol Harum-Schmachtfetzens "Whiter shade of pale" noch einen zusätzlichen Schuss Wehmut verpassen: Wie die übrigen Songs ganz im seit zehn Jahren ausgearbeiteten Bandstil zwischen Pop, Singer-Songwriting und dem Sound von 70er-Jahre-Politkapellen gehalten und kongenial als "Fahler als nur fahl" wiedergegeben. Ein Heuler!

Letztlich ist "No. 1 Hits" auch eine Reise zurück in die Zeit, als das Lied noch eine frei changierende Größe zwischen den Reichen Pop, Chanson und Schlager war, die sich noch nicht vollständig voneinander gelöst hatten. Und bis weit in die 70er Jahre hinein war es ohnehin üblich, ausländische Erfolgssongs zu übersetzen: SängerInnen von Skandinavien (Gitte, Wencke) über Frankreich (auch die große Françoise Hardy sang auf Deutsch!) und Italien bis Griechenland erhielten auf die Art ihre Deutschmarkt-Sprachschulung. Und wo die Original-InterpretInnen nicht konnten oder wollten, kamen eben Einheimische zum Zuge. Manche wie etwa Jürgen Drews bauten sogar ihre ganze Karriere auf einer einzigen Coverversion auf.

Der freie europäische Liederverkehr ging aber schließlich doch zu Ende. Juliane Werdings "Moonlight shadow"-Version "Nacht voll Schatten" von 1984: nur mehr ein Abgesang, Schlagerland hatte sich durch seine Totalanbindung an die volkstümliche Musik bereits in Harmonien verabschiedet, die kein Anknüpfen an die übrige Populärmusik mehr zuließen.

"Hallo, hallo, hallo - k.o."

... dieser irgendwie seltsame Abschnitt der Musikhistorie spiegelt sich in "No. 1 Hits" ebenso wider wie das Faktum, dass "Schlager" im Ursprung bloß die Übersetzung für "Hit" war, ganz wertneutral und ohne Aussage über einen musikalischen Stil. Ob - wie behauptet - von Erdmöbel so gewollt oder gänzlich nebenbei entstanden: "No. 1 Hits" ist ein überraschend reflexives Album geworden, selbst wenn man es genausogut als reines Easy Listening konsumieren kann.

SkeptikerInnen könnten dem Ganzen jetzt entgegenhalten: Ach was, Erdmöbel haben 2006 "Last Christmas" eingedeutscht, jetzt reiten sie den Erfolgsschmäh eben weiter, darüberhinausgehende Absichten verfolgen sie gar keine und all die hier genannten Interpretationen sind darum der reine Hirnwichs. - Ungefähr das gleiche hab ich mal meinem schwedischen Gastprofessor für Literatur gesagt. Seine Antwort: "Oh, es spielt gar keine Rolle, falls der Autor nur etwas Einfaches beabsichtigt hat. Viel wichtiger ist, dass er etwas Komplexes geschaffen hat." Zu dem Satz ist mir bis heute kein Gegenmittel eingefallen. (Josefson)