CD-Cover: Goya-Lit
Der Titel des neuen Hörbuchs von Peter Härtling lässt zunächst einmal nichts Gutes erwarten: Das ausgestellte Kind nennt der Autor seine zeitgleich auch in Buchform erschienene Novelle über den jungen Mozart und bedient damit eines jener Klischees, die im vergangenen Jahr bis zum Erbrechen ausgebreitet wurden. Im konkreten Fall ist es das vom armen, zerbrechlichen Wunderkind, das vom geldgierigen, skrupellosen Vater quer durch Europa geschleift und als Attraktion ausgestellt wurde. Auch der rokokohafte Scherenschnitt auf dem CD-Cover mit dem kleinen Wolfgang am überdimensionalen Klavier legt solche Assoziationen nahe.

Dann aber die Überraschung: Bereits nach wenigen Minuten führt Peter Wolf als Sprecher die Zuhörerinnen und Zuhörer von Härtlings Text in eine Welt weit abseits dieser Klischees und entwirft das Bild eines Kindes, das aufgrund seiner außergewöhnlichen Begabung zunehmend vereinsamt. Befreien aus dieser Vereinsamung können Wolfgang – zumindest zeitweise – nur seine Schwester Nannerl und der seiner Fantasie entsprungene Quintus. Dieser begleitet Wolfgang nicht nur am Klavier, sondern verbündet sich mit ihm auch im Kampf gegen Ignoranten und aufgeblasene Adelige. Da kann es dann schon einmal vorkommen, dass Wolfgang der "Duchesse Arschbömerl" oder dem "Prinzen Mußbauch vom Sauschwanz" seinen Quintus unter die Perücke, auf die Nase oder in die Hose schickt. Den Rahmen von Härtlings Buch bilden die großen Reisen der Familie Mozart zwischen 1762 und 1767, und obwohl die äußeren Umstände dieser kräfteraubenden Tourneen weit gehend bekannt sind, klingt Härtlings Geschichte nie abgestanden. Das liegt auch daran, dass sich der Autor elegant zwischen Fakten und Fiktion hin- und herbewegt und auf diese Weise immer wieder für überraschende Wendungen sorgt. Auch gelingt dem 74-jährigen Härtling das Kunststück, sich in die Gedankenwelt eines Kindes zu versetzen, ohne einen altklugen oder gar infantilen Ton anzuschlagen. Härtling nimmt dabei nicht die Rolle des distanzierten Beobachters ein, sondern berichtet aus nächster Nähe von den unglaublichen Strapazen, denen Mozart und seine Schwester Nannerl jahrelang ausgesetzt waren. Folgerichtig wird den vielen, teils schweren Erkrankungen der Mozartkinder breiter Raum eingeräumt, und es ist sicherlich kein Zufall, dass bei Härtling Wolfgangs Kindheit in Olmütz endet, nachdem der knapp Zwölfjährige eine schwere Blatternerkrankung überstanden hatte.

Das Ende der Kindheit bedeutet für Wolfgang auch den endgültigen Verlust seines unsichtbaren Begleiters Quintus: "Die Krankheit hatte ihn einer wunderbaren Kraft beraubt." Und der Prälat, bei dem die Familie Mozart in Olmütz wohnte, prophezeit Mozart nach dessen Genesung dann auch: "Jetzt, Wolfgang, wirst du anders komponieren." Wolfgang aber sehnte sich nur nach seinem Bett in der Getreidegasse in Salzburg. Endlich schlafen wollte er und sonst nichts. (Kurt Palm / ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27./28.05.2007)