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"New York Times"-Truck am Times Square.

Foto: AP/Mark Lennihan

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Arthur Sulzberger junior, New-York-Times-Verleger in der vierten Generation.

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Arthur Ochs Sulzberger, meist nur Punch genannt, lernte durch eine veritable Blamage, auf welchen Bananenschalen man so ausrutschen kann im Beruf eines Lokalreporters. Als Jungspund sollte er über ein Bankett schreiben, nichts Großes, nur eine Meldung. Alles ging glatt. Der Redner redete, der Berichterstatter berichtete. Am nächsten Morgen stand der Text in der "New York Times".

Gleichwohl hatte der junge Sulzberger einen kapitalen Fehler gemacht. Der Gast, der eigentlich sprechen sollte, war verhindert, sodass in letzter Minute ein Ersatzmann einspringen musste. Und als man den vorstellte, war der Reporter gerade im Restroom, wie Amerikaner zur Toilette sagen. Weil er nachzufragen vergaß, redete in seinem Zeitungsbericht ein Redner, der durch Abwesenheit glänzte. Die Redaktion musste eine Korrektur drucken, was peinlich war angesichts des wirklich dummen Fehlers. Anschließend hielt der Lokalchef dem Schuldigen eine Gardinenpredigt – "ernst und grimmig", wie Gay Talese, einer der besten Kenner der Zeitung, den Wutanfall mit zurückhaltenden Worten beschrieb.

"Graue Dame"

Die Sache mit dem falschen Festredner – in Taleses Standardwerk über die "New York Times" darf sie nicht fehlen, beschreibt sie doch die Kultur der vornehmen, distanzierten, stets korrekten "grauen Dame". Obwohl Punch als einziger Sohn des Verlegers so etwas wie einen Erbanspruch auf die Führung der Zeitung hatte, musste er sich seine Sporen zunächst einmal im Lokalen verdienen. Das Schreiben lag ihm nicht besonders, erzählt Talese. Sowieso, beim Recherchieren stundenlang vor verschlossenen Türen zu warten, bis endlich einmal einer herauskam, den man befragen konnte, das sei kein Job für einen Geldadeligen aus der Oberschicht. Dem fehlen dazu einfach der Hunger, die Ausdauer, der Ehrgeiz. Doch Familienbetrieb war Familienbetrieb: Arthur Hays Sulzberger, Punchs Vater, legte Wert darauf, dass sein Spross das Geschäft auch aus der Perspektive des schwitzenden, wartenden, beim Schreiben gegen den Redaktionsschluss ankämpfenden Reporters kennen lernte.

"Nachrichten unparteiisch wiedergeben"

Adolph Ochs, der Großvater Punchs, stand kurz vor dem finanziellen Ruin, als er die "Times" ins Visier nahm. Ein Blatt, das pro Tag rund eintausend Dollar Verluste machte. Der Postille in Chattanooga, Tennessee, die ihm bis dato gehörte, stand das Wasser bereits bis zum Hals. Ochs wollte sie und sich retten, indem er von der Provinz in die Metropolis expandierte. Dank brillanter Überredungskünste schaffte er es, sich genug Geld für den Kauf der "New York Times" zu borgen. Am 19. August 1896 kündigte er auf der Titelseite seiner Neuerwerbung an, sein aufrichtiges Ziel sei es, "Nachrichten unparteiisch wiederzugeben, ohne Furcht oder Gefälligkeit".

Leuchtturm unter Amerikas Printmedien

Damit hat sich der Leuchtturm unter Amerikas Printmedien bis heute behauptet. Sicher, auch die "Times" hatte ihre Tiefen, zuletzt den Plagiatsskandal um Jayson Blair, einen Reporter, der seine Geschichten erfand. Aber im Großen und Ganzen steht sie noch immer im Ruf, den Goldstandard der Branche zu verkörpern. Was auf ihren großformatigen Seiten steht, stimmt. Ob das so bleibt, ist eine der großen Sorgen, die den Journalismus in den Vereinigten Staaten umtreibt.

Zwei Klassen von Aktien

Noch gelingt es der Sulzberger-Familie, die Unabhängigkeit ihres Pressejuwels zu wahren – die Folge einer klugen Konstruktion. Die "Times" hat zwei Klassen von Aktien: stimmberechtigte, die der Familie vorbehalten sind, und nicht stimmberechtigte, die Banken oder Investmentfonds gehören. Letztere werden zwar an Gewinnen (oder Verlusten) beteiligt, dürfen aber nicht mitentscheiden, wer die Geschäfte führt. Somit kontrollieren die Sulzbergers mit 19 Prozent der Anteile den gesamten Konzern.

Nationales Gut

Ähnlich ist es bei der "Washington Post", deren Besitzer, die Grahams, in dem Ruf stehen, so etwas wie ungekrönte Häupter eines offiziell nicht existierenden Königshauses zu sein. Doch einige der Verlegerdynastien, die Amerikas publizistische Landschaft jahrzehntelang prägten, sehen ihr Heil neuerdings im Verkauf. Die Chandlers trennten sich von der "Los Angeles Times", die Taylors vom Boston Globe, die Ridders von Knight Ridder, einem Haus, das Regionalzeitungen wie die "San Jose Mercury News" und den "Philadelphia Inquirer" herausgab. Peter Osnos, Chef von Public Affairs, einem jungen Verlag, der bekannt wurde wegen seiner sozialkritischen Bücher, beobachtet ein erbittertes Tauziehen um die Zukunft der Branche. "Es geht um das Selbstverständnis der Zeitung, darum, ob sie Business ist oder öffentliches Gut." Als bis dato wichtigsten Test stuft Osnos das Ringen um das "Wall Street Journal" ein. Es gebe Leute, die das "Journal" als nationales Gut sehen, meint er. Für Rupert Murdoch dagegen sei es wohl eher ein Geschäft wie jedes andere auch.

Foto: REUTERS/Fred Prouser
Medienmogul Murdoch beweist Familiensinn und will das Journal kaufen.

Murdoch, der 76 Jahre alte australische Pressemagnat, will seine weltumspannende Sammlung seriöser und bunter Blätter, von Satellitensendern und Internet-Plattformen durch eine Spitzenmarke wie das "Wall Street Journal" komplettieren. Dazu unterbreitet er ein Angebot, das den Eignern den Mund wässrig macht. Fünf Milliarden Dollar gedenkt er den Bancrofts für das Verlagshaus Dow Jones & Company zu zahlen, ein satter Aufschlag von 65 Prozent auf den Börsenwert.

Die Bancrofts – noch so eine Verlegerlegende. Man schrieb das Jahr 1902, als Jessie Barron, Inhaberin einer Bostoner Pension, Dow Jones & Co kaufte, mit einem Eigenkapital von gerade einmal 2500 Dollar. Sie tat es auf Anraten ihres zweiten Ehemanns, des Wirtschaftsjournalisten Clarence Barron, der lange in ihrer Herberge gewohnt hatte. Als Jessie Barron 1918 das Zeitliche segnete, gingen ihre Mehrheitsanteile auf Jane Bancroft über, ihre Tochter aus erster Ehe. Seitdem sind es die Bancrofts, die das Flaggschiff der Finanzpresse kontrollieren.

Verlockungen Murdochs

"Ohne das 'Wall Street Journal' wären wir einfach nur irgendeine reiche Familie", wurde ein Mitglied des Clans einmal zitiert. Die Familie besaß die Weisheit, die Redaktion machen zu lassen, ohne sich einzumischen. Um die Dividende sollten sich "die Boys" einmal keine Sorgen machen, sie sollten das tun, was sie inhaltlich für richtig hielten, wird Jane Bancroft von einem Zeitgenossen zitiert. Wie lange ihre Erben den Verlockungen Murdochs noch standhalten werden, wagt niemand zu prophezeien. Speziell den jüngeren unter Jance Bancrofts Nachkommen könnte das Beispiel der Chandlers zu denken geben, der dynastischen Besitzer der Tribune Company, unter deren Dach sich regionale Schwergewichte wie "Los Angeles Times" und "Chicago Tribune" befanden.

Schnäppchen

Als die Chandlers mitten in der Zeitungskrise verkaufen wollten, bot niemand einen vernünftigen Preis. Im April bekam Sam Zell, ein Immobilientycoon, den Zuschlag – ein ausgesprochenes Schnäppchen, wie Branchenkenner meinen. "Die Bancroft-Erben könnten zu dem Schluss gelangen, dass sie lieber nach Murdochs Geld greifen, bevor er es sich anders überlegt", orakelt nun der "Economist". Der Magnat wiederum lockt nicht nur mit den Moneten, er versucht auch, Sympathien zu wecken. In einem Brief an die Bancrofts betont er die familiäre Note, die er seinem eigenen Imperium zuschreibt. 1952 habe er die Adelaide News von seinem Vater geerbt, und seine Kinder würden dereinst seine News Corporation von ihm erben. Eigentlich sind wir doch gleich, will er sagen.

Bei den Sulzbergers war es ein Investmentbanker, der die mehr als hundertjährige Tradition brechen wollte. Hassan Elmasry, Portfolio-Manager bei Morgan Stanley, startete im vergangenen Jahr einen Angriff auf die alten Strukturen. Sein Ziel war es, die Zweiklassenstruktur der Zeitungsaktien auszuhebeln. Banken und Fonds hätten die Macht übernommen. Fürs Erste blitzte Elmasry ab, und so stark der Druck bleiben wird, so beharrlich prophezeien Freunde der "New York Times", dass die Sulzbergers auch in Zukunft das tun werden, was sie immer getan haben: ihre Zeitung schützen. Seit 1992 steht Arthur Ochs Sulzberger jr., der Sohn des eingangs zitierten Punch, am Ruder. Als er sein Amt übernahm, begrüßte man ihn mit einem Jubelspruch, wie er eher auf Elizabeth II in ihrem Londoner Buckinghampalast passt: "Lang lebe die Monarchie!". Es war weniger Schmeichelei, mehr ein sehnlicher Wunsch. (Frank Herrmann/DER STANDARD/Album/Printausgabe, 26.5.2007)