Nach Beendigung eines rituellen Palavers verlassen die Danis das Männerhaus, um mit dem Festmahl zu beginnen.

Foto: Michael Grünwald

Der Körper des zukünftigen Häuptlings wird von den Anwesenden mit Schweinefett eingerieben.

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Kapitel 3: Die Designierung eines Häuptlings

Ein junger Mann in zerschlissenen westlichen Kleidern, Dreadlocks und mit einem zarten, bildhübschen Gesicht erhebt sich aus der hockenden Menge. Es fallen Worte, der Dorfälteste, nackt, mit Hakennase und roter Wollmütze ersucht mit lautstarker Stimme die anderen, sich ebenfalls zu erheben.

Der Ahnen zu gedenken war beileibe noch nicht alles. Vergangenheit ist Vergangenheit, ihr wurde Genüge getan. Da das Leben sich unaufhaltsam vorwärts bewegt, und mit ihm die Traditionen unsicheren Schrittes wie ein Hund an der Leine mitgerissen werden, muss das zähe Dani-Volk wohl oder übel an Morgen denken.

Irgendwann gehen die Alten in ein Jenseits, von dem keiner weiß, wie es aussieht. Was übrig bleibt ist Geschichte im Kopf der Jüngeren, Überliefertes, Wertvolles, kaum greifbar, dafür umso angreifbar.

Im dem jungen Dani mit den Dreadlocks soll die Zukunft des Dorfes liegen. Er soll die Festigkeit der Gemeinschaft sichern und bewahren. Ob er wissen wird, was er tut?

Er zieht das schmutzige T-Shirt aus. Die anderen umringen ihn, dicht gedrängt, sie wollen ihm so nah wie möglich sein. Der junge Dani schließt die Augen, neigt den Kopf. Wie ein sakrales Gemälde, wie ein El Greco, nur allem Manierismus beraubt und auf naturalistische Symbolik reduziert. Erdige Finger greifen in einen Tiegel mit Schweinefett, um den sehnigen Körper einzureiben. Rauch quillt aus der Hütte und fegt über die Schar der dicht gedrängten. In dicken Bahnen rinnt das Fett über Hals, Brust und Bauch. Hände betasten ihn, fühlen die Form seines Kopfes, seiner Wangen, seiner Schultern. Das Bild wird traumartig, bizarr, und ich ertappe mich dabei, das Geschehene zu idealisieren.

Mit langen Speeren bewaffnet führen sie ihn auf die Mitte des Platzes. Der Alte mit der roten Mütze sagt irgendetwas. Und aus dem Nichts heraus beginnen die anderen wie eine Schar kleiner Kinder, die es nicht erwarten können, von einem guten Gönner ein Bonbon zu erhaschen mit ihren gestauchten, sehnigen Körpern in reger Unordnung auf und ab zu hüpfen. Was folgt, ist ein jammerndes Geschrei aus mindestens einem Dutzend Kehlen. Jeglicher Rhythmus wird in den Boden gestampft, es geht nicht um eine Darbietung ihrer selbst willen. Ich stehe weit im Hintergrund, seit Längerem schweige ich. Am Liebsten würde ich mit der Steinmauer hinter mir verschmelzen, oder zumindest ihre Farbe annehmen. Irgendwann finden sie zu einer synchronen Abfolge keuchender Rufe. Noch einmal und noch einmal. Manche lachen. Viele wirken wie abwesend. Der designierte Häuptling hält immer noch die Augen geschlossen.

Am Morgen nach unserer ersten Begegnung in Kilise soll unsere entbehrungsreiche Wanderung tief hinein ins Baliem-Tal erst so richtig beginnen. Einige Tage später aber, nach unserer Rückkehr in Wamena, werden wir die Gelegenheit haben, die Zeit zurückzudrehen und einzutauchen in eine Welt, die sich anderswo nur noch in Fragmenten erhalten hat. (Michael Grünwald) Lesen Sie am 2. Juni ab 17 Uhr den vierten Teil: Die Bibliothek von Jiwika